Karl Vocelka, "Kommissarischer Leiter" des Insititus für Geschichte.
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Foto: Karl Vocelka
Nach der Neuorganisierung der Universität Wien soll kein Stein auf dem anderen bleiben. Alte, mehr oder weniger bewährte Strukturen werden zerschlagen, und was genau an deren Stelle treten soll, bleibt trotz jüngster Signale zur Kompromissbereitschaft seitens des Rektorates ungewiss. Viele der Betroffenen reagierten mit Unverständnis, "Sorge und Verärgerung" . derStandard.at sprach mit dem Vorstand des Instituts für Geschichte, Karl Vocelka, über mögliche Auswirkungen des neuen Organisationsgesetzes auf "sein" Institut, sowie über gesellschaftspolitische Hintergründe.

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derStandard.at: Woraus ergeben sich für Ihr Institut die größten Probleme durch die Neustrukturierung der Universität Wien?

Karl Vocelka: Nach dem neuen Universitätsorganisationsplan waren ursprünglich keine Institute mehr vorgesehen, da es unterhalb der Fakultäten keine Gliederungen mehr geben sollte. Ich denke jedoch, dass es ohne diese Gliederungen nicht gehen wird. Es ist nicht wirklich vorstellbar, dass die großen Fakultäten von einer einzigen Zentralstelle, von einem einzigen Dekan aus verwaltet werden. In der Zwischenzeit wurde ja auch seitens des Rektorates Kompromissbereitschaft signalisiert, dass es doch Institute geben kann, und auch Formen der Mitbestimmung überlegt werden.

derStandard.at: Inwieweit wird versucht, an der Konkretisierung der Pläne noch mitzuwirken?

Karl Vocelka: Bei den Treffen der Instituts-Vorstände der historischen Institute versuchen wir, all das in den Griff zu bekommen. So wurde klar beschlossen, dass wir weiterhin eine Gliederung in Institute wollen, und dass wir auch ihre Namen beibehalten wollen. Sie sind ja sozusagen international eingeführte Trade Marks, die mit einer bestimmten Art von Arbeit und Forschung assoziiert werden. Aber ob es uns gelingen wird, dies durchzusetzen, wissen wir noch nicht. Wir befinden uns derzeit in einem sehr eigenartigen Zustand. So haben die Institute keine Rechtspersönlichkeit mehr, aber es gibt Institutsvorstände, die nach wie vor für einige Zeit noch im Amt sind. Ich bezeichne mich immer als kommissarischer Leiter, weil es ja eigentlich kein Institut mehr gibt.

derStandard.at: Es ist evident, dass durch den neuen Organisationsplan niemand so recht weiß, wie es weitergehen soll.

Karl Vocelka: Ja, denn vieles ist noch sehr unausgegoren. Besonders auf den unteren Ebenen ist noch vieles unklar. Das macht vielen Leuten natürlich Sorgen. Die neue geplante historisch-kulturwissenschaftliche Fakultät, die fast 500 Menschen umfasst, kann als einzige Organisationseinheit nicht funktionieren. Hier muss irgend etwas passieren, um diese wieder zu gliedern. Und wie diese Gliederung aussieht, alte Institute oder neue Institute, das sind ja eigentlich die Dinge, die auch für die Studierenden wichtig sind. Studenten wollen Institute als Anlaufstellen haben, denn die meisten denken nicht in so abstrakten Begriffen von Fakultät, gerade wenn's um Probleme geht. Viele sind wegen dieser Unausgegorenheit frustriert.

derStandard.at: Im Unterschied zu den Instituten werden die Fakultäten zwar nicht abgeschafft, aber umstrukturiert.

Karl Vocelka: Ja. Obwohl die Geisteswissenschaftliche Fakultät die Absicht hatte, zusammenzubleiben, wurde gegen den Willen der Fakultät vorgegangen und sie wurde in zwei Fakultäten geteilt, in eine Historisch-Kulturwissenschaftliche und eine Philologisch-Kulturwissenschaftliche, wobei die Trennlinien, zumindest im ersten und zweiten Entwurf nicht sehr klar sind. So war im ersten Entwurf die Byzantinistik in der Philologischen und die Judaistik in der Historisch Kulturwissenschaftlichen Fakultät vorgesehen, das wurde im zweiten Entwurf nachadjustiert und man wird sehen, was in der endgültigen Fassung herauskommen wird.

derStandard.at: Warum sticht gerade die Universität Wien im Gegensatz zu anderen Universitäten in der Vorgangsweise der Zerschlagung der alten Strukturen so heraus?

Karl Vocelka: Ein wesentlicher Grund liegt sicherlich darin, dass an der Uni Wien das Rektorenteam versucht hat, die Umsetzung des UOG 2002 sehr schnell durchzusetzen, während andere Universitäten sich da wesentlich mehr Zeit gelassen haben. Der zweite Punkt ist natürlich, dass in anderen Universitäten die alte Gliederung, also Rektorat, Dekanate, bzw. Fakultäten und dann die Institute, kaum berührt wird, während man sich an der Uni Wien dazu entschieden hat, zu einer Zweigliederung der Universitätshierarchie überzugehen, also nur mehr Rektorenteam und die Fakultäten. Was darunter liegt, das ist ja bis jetzt noch nicht klar. Das hat natürlich einigen Widerstand vor allem in den Geistes- und Kulturwissenschaftlichen erzeugt.

derStandard.at: Erst unlängst wurde eine Protestplattform gegründet. Hätte sich organisierter Widerstand nicht schon früher regen sollen? Dass Umstrukturierungen geplant sind, war ja schon lange bekannt.

Karl Vocelka: Es hat ja früher Versuche gegeben, nur wurde die Universität von der Regierung zum Teil überfahren, zum Teil wurden auch die Verhandlungen in manchen Punkten nicht im Sinne derer geführt, die betroffen sind. Man fällt in der Struktur nun weit unter die demokratischen Standards, die man 1968 und danach gesetzt hat, zurück.

derStandard.at: Was sich auch im inhaltlichen Wandel des Begriffes "Reform" zeigt.

Karl Vocelka: Das spiegelt auch die politische Situation in Österreich wieder, die dem Historiker nicht unbekannt vorkommt. So hat man 1934 den sogenannten Revolutionsschutt beseitigt, der damals auf 1918 und auf die Demokratisierung nach dem Ende der Monarchie bezogen war. Und nun passiert ähnliches mit '68. Denn vieles von dem, was '68 an Errungenschaften an der Uni da war, hatte eine breitere Basis der Diskussion. Das universitäre System, in dem die Studenten und der Mittelbau in die Diskussionen noch mit einbezogen wurden (noch im UG 1993 verankert), das endet jetzt einfach. Ich denke, das ist schon ein "swing-back", ein Rückschritt, gegenüber dem, was '68 erreicht worden ist. Aber die Situation an den Unis ist ja kein Einzelfall, wenn man sich die politische Situation in Österreich anschaut. Auch die Sozialpartnerschaft und viele andere Errungenschaften der zweiten Republik sind ja weitgehend zurückgebaut worden.

derStandard.at: Die Änderungen an den Universitäten sind aber nicht nur auf eine innenpolitische Ebene zu reduzieren, sondern auch im internationalen Kontext zusehen.

Karl Vocelka: Es ist ein internationaler Trend, dass man die Universitäten nach dem modernen Managementkriterium verwaltet .Was für meine Begriffe in erster Linie heißt, dass man neue Schlagworte verwendet und eigentlich, gerade was die Unireform hier anlangt, zur alten Ordinarienherrschaft zurückkehrt: dass die Professoren bestimmen, was mit dieser Universität geschieht.

derStandard.at: Es wird im Zuge der Umstrukturierung der Österreichischen Universitäten oft auch von einer Privatisierung nach US- amerikanischem Muster gesprochen.

Karl Vocelka: Ich denke, dass diese neoliberalen Managementkriterien auf die Universitäten zu einem gewissen Grad nicht anwendbar sind. Ich bin ein großer Skeptiker dieser modernen Management Strategie, wo alles in die Zentrale verlagert wird. Ich glaube nach wie vor, dass das basisdemokratische Gestalten besser funktioniert. Das sieht man auch an den Universitäten, denn was jetzt noch richtig arbeitet, sind die auf dem Papier nicht mehr existierenden Institute. Vieles andere funktioniert leider nicht. Man kann Unis nicht völlig privatisieren. Die Bildung ist eine Aufgabe des Staates, er kann sich aus der Verantwortung nicht herausschleichen, denn Bildung ist ein Teil der Verantwortung der Gesellschaft für diesen Staat. Das hat man aufgegeben bzw. gibt man durch die Privatisierung der Unis auf. Aber es ist auch eine Pseudo- Privatisierung, denn das Geld kommt ja nach wie vor zum überwiegenden Teil vom Staat.

Der Umbau erfolgt ja nicht wirklich nach dem Muster von amerikanischen Unis, denn man kann das System der amerikanischen Unis nur kopieren, wenn man auch das System der amerikanischen Gesellschaft kopiert. Es geht nicht, in unsere Gesellschaftsordnung das amerikanische System anzuwenden und zu sagen, die Universitäten sollen sich jetzt von Sponsoren ernähren und gefördert werden. In Österreich gibt es diese Art von Sponsoren nicht; den Absolventen, der reich wird und dann der Uni eine Million Euro spendet, existiert hierzulande nicht. Diese Einstellung zu den Unis ist nicht da und es ist lächerlich so zu tun, als würden wir ein amerikanisches System 1:1 kopieren können. So hat man sich bei den ganzen Argumentationen auch immer nur auf gewisse Teile des amerikanischen Systems gestützt, und die weniger genehmen Teile diskret ausgelassen.

derStandard.at: Gibt die Universitätsreform überhaupt Antworten auf die dringendsten Probleme des Instituts im speziellen und der Unis allgemein?

Karl Vocelka: Nein, denn es geht hierbei nicht nur um die Frage der Umorganisierung der Uni. Man muss das ganze auch vor der Folie des Einsparens sehen: die letztendliche Konsequenz soll sein, dass man sich Personal erspart. Wie man uns von Seiten des Rektorenteams erzählt, soll die neue Uni ja angeblich billiger werden, aber im Augenblick habe ich den Endruck, dass die neue Universität teurer wird. Aber vielleicht bin ich auch nur zu wenig informiert.

derStandard.at: Welcher bedeutender Punkt fehlen Ihnen in der Diskussion um die Unireform?

Karl Vocelka: Uni zum Lehren und Forschen sollte von der Verwaltung weitgehend entlastet sein. Jeder hat Verwaltungsaufgaben, was zur Autonomie dazugehört, die aber andererseits auch erheblich belasten. Vieles der Verwaltungsaufgaben müsste man in einer Uni, die besser funktioniert als das was jetzt im Augenblick der Fall ist, an ein stärkeres Verwaltungsteam delegieren. Wir sind im großen und ganzen mit Verwaltungspersonal nicht wirklich gesegnet. Wir haben eine zu kleine Mannschaft in den Instituten.

Am Geschichteinstitut geht das ungeheure Engagement der vorwiegend in der Verwaltung tätigen Frauen weit über ihre Bezahlung und formale Qualifikation Arbeit hinaus, aber so kann es nicht weitergehen. Auf unterer Ebene lebt die Uni von freiwilligen Mehr-Leistungen der Einzelpersonen. Gemäß unserer Größenordnung bräuchte das Institut für Geschichte z. B. mindestens zwei voll bezahlte MitarbeiterInnen, die sich nur um die EDV kümmern, wo es nicht nur darum geht, Viren zu killen, sondern auch darum, dass man sich in Zeiten von Internetgestützter Lehre auch auf einer technischen und theoretischen Ebene mit dem Thema auseinandersetzt. Da fehlt es uns hinten und vorne.

derStandard.at: Und inwieweit geht der neue Organisationsplan auf die eigentliche Hauptaufgabe der Universitäten ein? Welche Schwerpunkte würden Sie sich wünschen?

Karl Vocelka: Die Lehre ist das Thema, das schon seit langer Zeit auf der Universität in einer eigenartigen Art und Weise gehandhabt wird. Zwar sind wir in erster Linie auch dazu da, zu lehren, aber man merkt ja auch schon an dem neuen Organisationsentwurf, (und das hat man auch schon früher gemerkt), dass die Lehre eine untergeordnete Bedeutung spielt. Das Wichtige ist die Forschung. Wenn man großartige Forschung leistet, dann ist man eine großartige Universität. Ich denke, dass es die Forschung allein nicht sein kann. Wir sind keine Akademieinstitute, die nur Forschung zu leisten haben, sondern die Vermittlung spielt eine wesentliche Rolle und gerade hier denke ich wäre ein stärkeres Engagement vieler sehr wünschenswert.

So könnte man sicherlich bei einer neuen Universität vieles verbessern, aber gerade dort liegt der Schwerpunkt der Reform nicht, der Schwerpunkt liegt im Bereich der Forschung, Lehre kommt nur am Rande vor. Ein kleines Beispiel: vor der Umorganisation wurde groß über Didaktikzentren diskutiert, sie waren schon in Planung. Für jedes Fach, das ein Lehramtsstudium hat, sollte ein Fachdidaktikzentrum existieren und auch personell ausgestattet werden. Diese Fachdidaktikzentren sind im neuen Organisationsentwurf verschwunden, die gibt's nicht mehr. Da fragt man sich, wie ernsthaft nimmt man es von Seiten der Universität mit der Lehre? Denn die Fachdidaktik spielt ja nicht nur für angehende LehrerInnen eine Rolle sondern sollte auch für UnilehrerInnen. Ich denke, dass die Lehre unterrepräsentiert ist, auch immer war und nun weiter bleibt. Ich würde mir wünschen, dass die Lehre eine stärkere Rolle spielt, weil sie ja eine Hauptaufgabe der Uni ist.

derStandard.at: Ein Schwergewicht auf die Forschung auch in finanzieller Hinsicht?

Karl Vocelka: Was die Forschung an der Universität Wien und an der Geisteswissenschaft insgesamt anbelangt, so spricht man ja immer davon, dass sie gestärkt wird, aber die Uni hat ja bisher keine wie immer gearteten finanziellen Mittel für Forschung zur Verfügung gehabt. Unsere Situation ist nicht die von Unis, wo je nachdem wie tüchtig eine Forschungsgruppe oder einzelne Persönlichkeiten in der Forschung sind bzw. ist, Mittel zugeteilt werden. Es gibt an österreichischen Universitäten keine Forschungsmittel, man muss sie von außen her, vom Nationalbankfonds, Forschungsförderungsfonds, etc. rekrutieren, und diese werden immer weniger mit finanziellen Mitteln ausgestattet. Qualifizierte Forschung zu betreiben wird immer schwieriger.

derStandard.at: Dies repräsentiert zu einem großen Teil auch den gesellschaftlichen Stellenwert der Geisteswissenschaften insgesamt.

Karl Vocelka: Die ganze Universitätsorganisation zeigt schon deutlich mit der Abtrennung der medizinischen Universität, was die Menschen als nützlich empfinden und was nicht. Das spiegelt auch die alte traditionelle Einstellung zur Universität wieder, dass nur diejenigen, die nützlich sind, gefördert werden. Das gibt's besonders am Land, wo zwischen den "nedigen" (nötigen) und den "unnedigen" Doktoren unterschieden wird. Der "Nedige" ist der Mediziner, sowohl der Menschen- als auch der Tierarzt , der Rechtsanwalt, den man gelegentlich braucht, wenn man mit dem Nachbarn streitet und alles andere, so auch die Geisteswissenschaftler, sind die unnötigen Doktoren. Ich denke, dass die ganze Reform in diese Richtung geht und das ist gerade für die Geisteswissenschaft frustrierend.