Scheinbares Familienidyll in Mafiopolis: Lorenzo Randazzo (M.) als junger Peppino in "I cento passi/ Hundert Schritte"

Foto: Filmladen

Luigi Lo Cascio als Peppino, der Aktivist

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Marco Tullio Giordanos Spielfilm "I cento passi - Hundert Schritte" erzählt die Lebensgeschichte des Mafia-Gegners Giuseppe Impastato. Und er entwirft dabei nicht zuletzt ein kleines Kompendium möglicher Ausdrucksformen für politischen Widerstand.


Wien – "Nicht so laut!" – Zurückhaltung ist hier eine Überlebensfrage. Nur in gut verschlossenen Innenräumen, im Schutz der Behausungen, werden die Dinge mitunter beim Namen genannt. Bereits am Balkon schräg gegenüber, nur 100 Schritte vom Elternhaus entfernt, wacht der örtliche Pate über die Seinen, ihre Rede und ihr Tun.

I cento passi/100 Schritte ist allerdings kein Gangsterfilm, vielmehr erzählt er die Lebensgeschichte von Giuseppe Impastato, genannt Peppino, politischer Aktivist, Mafia-Gegner, Gründer von Radio Aut – 1948 in Cinisi, Provinz Palermo, als Sohn einer Mafiafamilie geboren, ebendort im Jahre 1978 umgebracht.

Regisseur Marco Tullio Giordano – der zuletzt mit dem Sechsstünder La meglio gioventù eine weitere imposante Chronik der jüngeren Geschichte Italiens vorlegte – hat I cento passi bereits vor vier Jahren in Venedig vorgestellt. Damals war die inzwischen erfolgte Verurteilung der Auftraggeber des Mordes noch immer ausständig.

Giordano beschreibt sehr genau das Heranwachsen seines Helden, den Luigi Lo Cascio mit großem Einsatz verkörpert, in einer Kultur des Wegsehens und Verschweigens. Die Erzählung konzentriert sich dabei auf den fatalen Konflikt zwischen familiären Bindungen und dem Anprangern krimineller Machenschaften.

Wortgewalt

Was für die mitunter reichlich betont agierende Bildregie entschädigt, ist der Umstand, dass I cento passi vor allem auf der Tonebene ganz beiläufig eine Vielzahl von Artikulationsformen präsent hält – solche, die Traditionen aufrecht erhalten, aber auch jene, die ein Widerstandspotential in sich tragen:

Schon wenn der Held als kleiner Junge mit seinen Eltern und dem jüngeren Bruder im Auto zu einer Familienfeier fährt, tönt aus dem Autoradio Domenico Modugnos Nel blu dipinto di blu – nicht einfach nur ein populärer Schlager, sondern die heimliche "Hymne von Mafiopolis".

Es werden Tischreden gehalten, ein Gedicht aufgesagt und nur wenig später – nachdem der alte Patriarch bei einem Sprengstoffanschlag ums Leben gekommen ist – mischen sich die Rosenkranz-Litaneien der Klageweiber in den Chor der ritualisierten Sprechweisen, die der Junge als aufmerksamer Beobachter in sich aufnimmt. Im Zuge seiner politischen Aktivitäten wird Peppino auf traditionelle Spottreden und die Volkskomödie ebenso zurückgreifen, wie auf seine Vorliebe für italienische Lyrik oder US-amerikanische Rockmusik, auf Agit-Prop oder auf Formen des passiven Widerstands.

Ganz am Ende hat sich dann die lichte Straße gegen das dunkle Zimmer durchgesetzt: Getrauert wird endlich nicht mehr privat in stummer Verzweiflung, sondern in lautstarken Sprechchören und in aller Öffentlichkeit. (DER STANDARD, Printausgabe, 28./29.2.2004)