Auf unserem Bild trägt Vorjahressiegerin Lydia Obute einen Anzug von Petar Petrov.

>>>Zum Interview: Lydia Obute:"Bin eine Art Role-Model"

Foto: Irina Gavrich

Model? Ein echter Traumjob. Längst ist das Schönsein für junge Mädchen zu einer realen beruflichen Option geworden. Nicht unschuldig daran: ein Castingformat, das im Fernsehen seit über acht Jahren Mädchen zu "Topmodels" macht. 2003 ging das ehemalige Supermodel Tyra Banks mit America's Next Topmodel in den USA auf Sendung, Österreich sitzt seit 2009 im Topmodelboot mit drin: Austria's Next Topmodel wird von Redseven Entertainment, einer Tochter der deutschen Pro Sieben Media AG, produziert und versteht junge Zuschauer vortrefflich zu ködern.

Und das erstaunlicherweise mit Appellen an Disziplin und Gehorsam: "Die neoliberalen Werte, die eine solche Sendung vermittelt, werden von den Jugendlichen angenommen", sagt Christine Wijnen von der Uni Wien, die sich mit den Auswirkungen von "Model-Castingshows im Alltag von Jugendlichen" in einer Studie auseinandergesetzt hat: "Insbesondere die, die geringe Chancen auf dem Arbeitsmarkt haben, hoffen: Wenn ich hart genug an mir arbeite, kann ich meine Träume erreichen." Jugendliche konsumierten die Sendung zwar überwiegend mit kritischer Distanz, doch viele verstünden die Modelcastingshows als eine Anleitung zur Verwirklichung ihrer Wünsche.

Der Jury und den Sponsoren gefallen

Bei Austria's Next Topmodel dürfte der Zuschauer mittlerweile nach drei Staffeln wissen: Angehende Models haben nicht nur berufsbedingt immer gut auszusehen, sondern vor allem der Jury und insbesondere den Sponsoren zu gefallen. Wie stark deren Einfluss bereits auf die Vorauswahl der Kandidatinnen ist, macht ein bizarres Vorspiel zur aktuellen vierten Staffel klar: Während Jurymitglied Elvyra Geyer im September letzten Jahres das obligatorische Bundesländercasting, einen recht glanzlosen Modelmarathon vom Vorarlbergischen Einkaufszentrum Zimbapark bis zum Q19 Einkaufsquartier in Döbling, absolvierte, durfte Sponsor Niki Lauda, der bisher keine Referenzen als Modelscout vorzuweisen hat, "Nikis Next Topmodel", die 17-jährige Yemisi Rieger, aussuchen. Yemisi sei ihm aufgrund ihrer Natürlichkeit aufgefallen, gibt Lauda zu Protokoll.

Mittlerweile ist aber nicht nur die Castingtour, in der aus 5000 Bewerberinnen 22 Mädchen ausgesiebt wurden, längst gelaufen. Die gesamten Sendungen wurden schon im Spätherbst aufgezeichnet. Die Zuschauer nehmen es gelassen. Sie scheinen das seit vergangener Woche immer donnerstags verabreichte Dosenfutter allen Unkenrufen zum Trotz zu mögen: Der Gewinnerin winkt auch diesmal die Titelseite der Frauenzeitschrift Woman und ein Vertrag mit der Model-Agentur Wiener Models.

Welcome to High Fashion

Trotz des diesjährigen Mottos "Welcome to High Fashion" klingt das wenig international. Nicht ohne Grund wird laut Medienpädagogin Wijnen die österreichische Sendung von jugendlichen Zusehern als Abklatsch des deutschen Formats verstanden. Dieses Phänomen sei allerdings kein Einzelfall: "In Irland ist das ganz ähnlich: Da wurde die Sendung gegenüber dem britischen und US-amerikanischen Format auch abgewertet."

Doch wie sieht es mit der realen Auftragslage der Gewinnerinnen der vergangenen Staffeln aus? "Lydia macht vor allem Shows, weil es für Mädchen mit dunkler Hautfarbe bei uns wenig Jobs gibt", erklärt Andrea Weidler, Inhaberin der Agentur Wiener Models, die Situation der Siegerin von 2011 (siehe Interview). Aber: "Wir mögen das Mädchen und glauben an sie!" In Deutschland hingegen stehen die Zeichen nicht auf Nestwärme. Reihenweise flüchten "Germany's Next Topmodels" aus den fragwürdigen Modelverträgen des Klum-Clans.

Model oder Schauspielerin?

Eine solche Agenturflucht scheint es in Österreich bisher nicht zu geben. Allerdings orientieren sich auch hier viele Teilnehmerinnen neu: "Larissa hat bei uns anfangs ausgezeichnet gearbeitet, wollte aber immer schon Schauspielerin werden" sagt Weidler über die Gewinnerin von 2009. Sie lebe deshalb mittlerweile in New York. Und die Erstplatzierte der zweiten Staffel? "Aylin arbeitet nach gröberen Anlaufschwierigkeiten aufgrund chronischer Unpünktlichkeit inzwischen ausgezeichnet." International hat aber auch sie bisher noch nicht von sich reden gemacht.

Dass die "wirkliche Modelwelt mit jener der Topmodel-Formate nicht allzu viel zu tun hat, dürfte für viele Teilnehmerinnen eine schmerzhafte Erfahrung sein. Viele Mädchen sprechen ungern über die Wochen im Model-Loft. Einige von ihnen werden wohl erfahren haben: Der Wille, an sich zu arbeiten, wird auch im Showgeschäft nicht zwangsläufig von Ruhm und Erfolg gekrönt.

Ellenbogentaktik

Umso schwerer, das frühzeitige Ausscheiden nicht mit einem ausschließlich persönlichen Versagen gleichzusetzen - zumal auch im Alltag zunehmend Ellenbogentaktik angesagt ist. Die Hamburger Zeit zitierte 2010 in einem Artikel über Germany's Next Topmodel die damals aktuelle Shell-Jugendstudie: Die Angst, in der Gesellschaft keinen Platz mehr zu bekommen, sei in den letzten Jahren unter Jugendlichen gewachsen, heißt es da. Auch die in Christine Wijnens Studie befragten österreichischen Jugendlichen sehen sich durch Castingformate darin bestätigt, dass heute nicht Individualität, sondern die perfekte Anpassung an gesellschaftliche Vorgaben gefragt sei. Entspreche man diesen nicht, sei es durchaus legitim, dafür kritisiert zu werden.

Das wird auch bei den diversen Topmodel-Formaten ausführlich getan. Quoten machen diese Formate allerdings nicht mit den Angepassten, sondern den Kandidatinnen, die vor der Kamera rumzicken und rumheulen - und so ihre "15 minutes of fame" voll auskosten. Alles nur Show, alles nur Inszenierung, sagen dazu die einen. Als authentischen Wettbewerb, wer die Schönste im Land sei, versuchen es dagegen die Fernsehanstalten darzustellen. In den kommenden Wochen wird sich zeigen, ob die Zuschauer bereit sind, das wieder zu glauben. (Anne Feldkamp/Der Standard/rondo/20/01/2012)