Nur Stücke, die sie auch selbst gern trägt, kommen in ihre Kollektion: Iris von Arnims bevorzugtes Material ist Kaschmir. Unten: Einblicke in ihre aktuellen Kollektionen

Fotos: Iris von Arnim
Fotos: Iris von Arnim
Fotos: Iris von Arnim

"Den schönsten Pulli", sagt Iris von Arnim "habe ich noch nicht gemacht." Die Mittsechzigerin sitzt hinter ihrem großen Schreibtisch in ihrer Villa im Hamburger Vorort Harvestehude. Vor ihr türmen sich Kaschmir- über Kaschmirmuster. Draußen heult der Wind, im Minutenabstand regnet oder schneit es. Ein Hamburger Wintertag, wie er im Buche steht.

Iris von Arnim schüttelt sich. Ob am Arlberg bereits Schnee liege, wird sie später fragen, und sich dann über das eigenartige Wetter beklagen. "Weihnachten haben wir früher immer in einem Hotel am Arlberg verbracht." Untertags fuhr man Ski, am Abend veranstaltete man mit den Hausgästen eine kleine Modeschau. Einfach so, wenn jemand auch noch einen Pulli kaufte, sollte das Iris von Arnim Recht sein.

Kaschmirkönigin

Das Geschäft kommt bei der Hamburgerin mit dem wettergegerbten Gesicht und den schlohweißen Haaren meist erst an zweiter Stelle. Kaschmirkönigin hat man von Arnim genannt, oder auch: die deutsche Sonia Rykiel. Anders als ihre französische Kollegin ist von Arnim jenseits der eigenen Landesgrenzen aber kaum bekannt. Vielleicht weil die Strickspezialistin aus dem 800 Jahre alten ostpreußischen Adelsgeschlecht nichts mehr hasst, als Kompromisse zu machen. "Meine Pullis sind nicht wirklich preiswert", sagt sie, "aber was soll ich machen?"

Günstiger Kaschmir kommt ihr nicht zwischen die Nadeln. Von Arnim verwendet ausschließlich Spitzengarn aus Italien oder beste Qualitäten aus der Mongolei. Seitdem sie Mitte der Achtziger von Angorapullover auf Kaschmir umsattelte, baute sie eines der hochwertigsten deutschen Modelabels auf. Anfangs mithilfe des italienischen Produzenten Brunello Cucinelli, dann alleine, propagierte sie im Strickbereich eine Art schicken Minimalismus, dem sie bis heute treu geblieben ist. "Die Pullis in den Achtzigern waren Kartoffelsäcke. Mit grellen Farben, wilden Mustern, vielen Comicfiguren. Irgendwann waren die Leute diesen Stil aber leid. Und ich auch."

Eigenständig und stur

Iris von Arnim ist niemand, die an der Speerspitze ästhetischer Entwicklungen steht. Avantgarde? Nein, mit diesem Wort weiß sie nicht viel anzufangen. Trends kopflos hinterherzutraben, ist aber auch nicht ihre Sache. Iris von Arnim ist eine dieser Designerinnen, die mit viel Geschmack und ziemlich stur ihren Weg gehen. Ohne Financier, dafür mit einem überschaubaren Mitarbeiterstab (rund 25 Personen arbeiten für sie) ist sie die letzte Designerin aus der deutschen Gründerzeit-Generation (also aus der Generation einer Jil Sander oder eines Wolfgang Joop), die eigenständig geblieben ist. "Ich habe immer Lieblingsstücke designt", sagt sie, "wenn ich mich darin nicht selbst wohl fühle, dann kommen sie auch nicht in die Kollektion." Rund 100 Stücke umfasst diese derzeit, früher waren es um einige weniger.

Seitdem von Arnims Sohn Valentin vor sechs Jahren in das Unternehmen seiner Mutter eingestiegen ist, hat sich auch in der edlen Hamburger Gründerzeitvilla einiges getan. "Valentin nimmt mir meine Ängste", sagt von Arnim und erzählt dann vor ihrer Scheu, bewusst PR oder Marketing zu betreiben. Einen Computer verwende sie bis heute nicht. Warum auch, fragt sie, er koste ihr einfach nur Zeit. Lieber tüftle sie an einem neuen federleichten Kaschmirseidengarn, entwickle ein Muster aus getrockneten Herbstblumen oder nähe Federn an Säume. Bis Iris von Arnim mit einem ihrer Strickteile wirklich zufrieden ist, kann einiges an Zeit vergehen.

Stricken und loslassen

Es ist denn auch Valentin, der die Kooperation eingefädelt hat, die das stille Hamburger Label in diesem Jahr vermehrt in die Zeitungen gebracht hat. Als Claudia Schiffer bei einer Podiumsdiskussion in Berlin über ihre Sehnsucht nach einer eigenen Kaschmirkollektion berichtete, saß Valentin zufällig im Publikum. Wenige Monate später brütete man bereits gemeinsam über den ersten Musterteilen, im Herbst wurde die erste Kollektion ausgeliefert, dieser Tage folgt die zweite.

Vermarktet wird sie zwar unter dem Namen Claudia Schiffer, das Know-how stammt aber von den von Arnims. "Ganz einfach war es am Anfang für mich nicht", erzählt Iris von Arnim: "Claudias Stil ist legerer, die Teile sind günstiger, die meisten bestehen aus Kaschmirmischungen. Ich musste also ein bisschen loslassen von dem, was ich normalerweise vertrete."

Loslassen - das dürfte ein Wort sein, das Iris von Arnim derzeit öfter in den Mund nimmt. Stolz wirft sie die Haare in den Nacken, wenn Sohn Valentin ihr widerspricht. Der Zweiunddreißigjährige hat nach seiner Studienzeit an einem amerikanischen Elite-College mehrere Jahre an der Wall Street gearbeitet. Er weiß um das unternehmerische Schatzkästlein, das seine Mutter über die Jahrzehnte aufgebaut hat - und wie sehr man es hegen und pflegen muss.

Überlebenskünstlerin

Den Erfolg hat sich Iris von Arnim schwer erarbeiten müssen. Geboren in den letzten Kriegsmonaten auf einem Schloss in Ostpreußen, wuchs sie als Flüchtlingskind in einer Dreizimmerwohnung in Hannover auf. Die Mutter starb, als sie drei war, der vom Krieg traumatisierte Vater mit 16. "Ich war eine Überlebenskünstlerin", sagt sie heute. Sie jobbte bei der Bild, arbeitete bei Twen, besuchte eine Fotoschule und entdeckte bei einem längerem Krankenhausaufenthalt schließlich das Stricken.

160 Mark zahlte sie Monatsmiete für ihr erstes Geschäft in Hamburg. Das ist lange her. Aus den Schlabberpullis sind die weichsten und feinsten Kaschmirteile geworden, die man auf dem Markt finden kann. Und aus der alleinerziehenden Mutter, die zwar tolle Partys schmiss, aber sich auch durchboxen musste, eine Grande Dame des Designs. Glücklicherweise liegt der schönste Pullover ihres Lebens noch vor ihr. (Stephan Hilpold/Der Standard/rondo/23/12/2011)