"Die Maschine soll nie was von uns wollen, sondern der Bewohner soll eine einfachere, komfortable Bedienbarkeit erfahren, sonst taugt das System nichts."

Foto: PhotoDisc

 Seit einigen Tagen stehen im Hamburger "Living Place" Technologien auf dem Prüfstand, die uns im künftigen Wohnalltag umgeben könnte.

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Die Computer werden verschwinden und zugleich allgegenwärtig sein. Diese Prophezeiung findet sich ausformuliert im Text The Computer for the 21st Century des US-amerikanischen Informatikers Mark Weiser aus dem Jahr 1991. Für das Automobil trifft diese Einschätzung bereits zu. Ab und zu warnt ein Lämpchen oder ein Piepston die Insassen, doch die Rechenprozesse, die für die Signale sorgen, laufen unbemerkt unter der Motorhaube und anderswo ab.

Dieses Prinzip der versteckten Technologie soll nun über Konzepte wie "ambient intelligence" oder "ubiquitous computing" auch in den eigenen vier Wänden Einzug halten. Dabei wird mittels Informationstechnologie versucht, die Immobilie und die darin befindlichen Mobilien zum Wohlbefinden der Bewohner inter-agieren zu lassen. Diese Art Gemütlichkeit 2.0 stellt sich aktuell im Living Place an der Hochschule für Angewandte Wissenschaften Hamburg ein, der als Labor und Versuchsfeld für Ideen intelligenter Wohnumgebungen dienen wird.

Experimentalwohnung

Das Lebendige bei Living Place entsteht durch die funktionstüchtige Einrichtung der Experimentalwohnung. Wasserhähne und Herdplatten sind keine Attrappen, und somit kann die Testperson ohne Probleme dem Alltag nachgehen. Möglich ist dies, da die Räumlichkeiten auf dem Gelände der Fachhochschule zuvor als Hausmeisterwohnung dienten. Die alte Infrastruktur konnte großteils übernommen werden, und seit rund zwei Jahren fügte ein Team - bestehend aus Professoren, Studenten und einem Start-up ehemaliger Studenten - den alten Leitungen einige neue hinzu. Steckverbindung für Steckverbindung entstand eine Wohnung, die wie ein Keyboard die Interaktion mit einem Computer ermöglicht. Doch wird dabei keine Taste gedrückt, sondern es reicht die Anwesenheit des Bewohners. Über Kameras, Mikrofone und Sensoren werden Gestik, Sprache und Verhalten wahrgenommen und als Signal dem Computer übermittelt, der dementsprechend reagiert. Was ein derartiger Elektronikpark in Alltagssituationen bringen kann? Das ist die Forschungsfrage.

Im Zentrum eines möglichen Szenarios steht ein Wecker, der sich selbst stellt. Abhängig davon, ob die Person gut geschlafen hat, wann und wo der erste Termin ist und wie lange ein durchschnittliches Frühstück dauert, wird eine günstige Weckzeit berechnet. Zu dieser wird aber kein Ton erklingen, denn der Wecker sorgt für Helligkeit, um den Schlaf zu beenden. Bei guter Wetterlage öffnen sich die Jalousien, andernfalls wird per LEDs eine Morgenstimmung produziert; ein Einfall, der einem in Hamburg angeblich schneller kommt. So geweckt, begibt man sich in die Küche, wo die Geräte auf Bereitschaft sind und digitale Zeitungen schon auf den Küchentresen geladen wurden. Letzterer ist ein großer Bildschirm, der auch als Kontrolleinheit für die Wohnung dient.

Neben derart vielschichtigen Lebensstilzuckerln liefern Studenten mit nur bedingt minder komplexen Abschlussarbeiten mögliche Versuchsanordnungen. Eine sieht vor, dass per Kamera Gegenstände in der Wohnung aufgespürt werden, um sich durch simple Anfragen an den Hauscomputer hektische Suchaktionen zu ersparen. Viel Rechenleistung wird dazu nötig sein, doch soll sie den Nutzer nicht belasten. Deshalb verschwindet sie im Living Place hinter den Wänden - konkret im Kontrollraum, der für die Testbewohner unsichtbar sein wird, aber gut die Hälfte der Wohnung ausmacht. Diese Raumaufteilung spiegelt auch den Sinn des Ganzen wider. Es geht schließlich vor allem darum, neue Technologien auf ihre Brauchbarkeit und Auswirkungen hin zu überprüfen.

Computer und Mensch

Taucht bei so viel Zukunftsmusik auch die eine oder andere Dissonanz auf, wenn man etwa an das Verhältnis Computer und Mensch in Stanley Kubricks Film 2001: Odyssee im Weltraum denkt? Gegenüber dem Forschungsprojekt wäre das noch nicht vorgekommen, sagt Gunter Klemke, einer der beteiligten Professoren, da es ja den Einzug von Technologie in den Alltag hinterfragt. Die Kunst wird es sein, die Balance zwischen Automatisierung und Kontrolle zu finden. "Die Maschine soll nie was von uns wollen, sondern der Bewohner soll eine einfachere, komfortable Bedienbarkeit erfahren, sonst taugt das System nichts."

An solchen Erkenntnissen ist auch die Wirtschaft interessiert und ermöglicht im Gegenzug über gesponsertes Material die Experimente. Einen großen Anteil am Lebendig-werden des Living Place hat auch die Wirtschaftsbehörde Hamburgs, denn es gilt vonseiten der Stadt eine führende Position als Deutschlands Zentrum für Informations- und Kommunikationstechnologien auszubauen. In diesem Umfeld drängt sich das Wort "Zielgruppe" in den Kontext, und auf etwaige Abnehmer solcher Alltagsgimmicks angesprochen, nennt Klemke die "silver economy". Dazu werden Leute gerechnet, die einige Jahre hinter sich und viele noch vor sich haben, finanziell gesichert und ungebunden leben. In diesem Lebensabschnitt, in dem die Kinder aus dem Haus sind, könnte ja zukünftig bei manchen die Technik einziehen. Doch derartiges Zielgruppendenken ist im Moment verfrüht, denn erst vor kurzem fanden die letzten Stecker ihre Buchsen - und damit steht man im Living Place am Anfang des Ausprobierens von digitalen Möglichkeiten, die künftig auf unsere Realität losgelassen werden könnten. (Richard Schwarz/Der Standard/rondo/04/11/2011)