Foto: Eriksson & Company / Valtteri Hirvonen
Foto: Eriksson & Company / Valtteri Hirvonen
Foto: Eriksson & Company / Valtteri Hirvonen

Die Fotos entstanden für die "Welthauptstadt des Designs 2012" in Helsinki und sollen laut Veranstalter die Atmosphäre herüberbringen, die typisch für die Hauptstadt Finnlands ist.

Foto: Eriksson & Company / Valtteri Hirvonen

"Die Welt an sich und das Dasein ist sehr traurig", sagt Filmemacher Aki Kaurismäki. Doch der traurige, stets in der Dunkelheit Wodka trinkende Finne des Kultregisseurs ist zumindest in der finnischen Designszene derzeit nur schwer zu finden. Die freut sich nämlich schon jetzt auf das Jahr 2012, wenn Helsinki den Titel Welthauptstadt des Designs tragen wird, "Designpääkaupunki 2012", wie es der Finne sagt. Kaurismäki könnte gerade diesbezüglich eine finnische Weise entgegenhalten werden: "Man muss die Dinge nehmen, wie sie kommen. Und wenn sie nicht kommen, muss man ihnen entgegengehen." Und der überdurchschnittlich an Gestaltung interessierte Finne geht mit großen Schritten der großen Designsause entgegen.

Nach Turin 2008 und Seoul 2010 ernannte der International Council of Societies of Industrial Design die finnische Hauptstadt zur World Design Capital 2012. Um den Titel der Designhauptstadt hatten sich insgesamt 46 Städte aus 27 Ländern beworben. In die Finalrunde wurden von der Jury Helsinki sowie das niederländische Eindhoven aufgenommen. Die Finnen machten das Rennen.

Funktion mit Ästhetik

Design ist allgegenwärtig in der nördlichsten Hauptstadt Kontinentaleuropas - so wie auch im übrigen Finnland. In den meisten Wohnungen findet man Geschirr von Arabia, Gläser von Iittala oder Stoffe von Marimekko. Seit über einem halben Jahrhundert steht das östlichste Land Skandinaviens für gute Form, die Funktion mit Ästhetik aufs Schönste paart. Klar, schnörkellos, praktisch ist das finnische Design, die Formen wirken häufig wie ein Echo auf die zahlreichen Seen oder Fichtenwälder des Landes. Vielleicht treffen es die Worte des finnischen Designers Kaj Franck (1911-1989) am besten. Er sagte: "Ich möchte Dinge entwerfen, die so offensichtlich sind, dass sie kaum auffallen."

Den großen Namen des finnischen Designs begegnet man in Helsinki förmlich auf Schritt und Tritt. Im Zentrum der Stadt funkelt an der Nobelmeile Esplanadi ein Dreigestirn der finnischen Designwelt. Am zentralen Boulevard der Stadt, der aus zwei Straßen und einem Park besteht, residiert der Flagship-Store von Marimekko. Die Marke ist wohl das erfolgreichste skandinavische Designprojekt der 1960er-Jahre und feiert heuer 60. Geburtstag. Mit spektakulären Prints wollte Marimekko nach dem Grau der Kriegsjahre bunte Fröhlichkeit in jeden Tag bringen. Federführend war die junge Gestalterin Vuokko Eskolin-Nurmesniemi, deren Schnitte ebenso radikal wie ihre Muster waren. Die formenreiche Marimekko-Musterwelt bestimmen seit je Streifen, Punkte und immer wieder abstrahierte Blumen in starken Farben.

Ein paar Meter weiter Richtung Hafen und Markt liegt der Iittala-Shop. Der Glas- und Geschirrwarenhersteller an der Pohjoisesplanadi 25 ist weltweit bekannt für seine farbenfrohen Kreationen mit klaren, naturnahen Formen. Die Entwürfe von Alvar und Aino Aalto aus den 1930er-Jahren kennt heute jedes Kind. Iittalas goldene Zeit begann nach dem Zweiten Weltkrieg, als die beiden jungen Künstler Tapio Wirkkala und Kaj Franck in das Unternehmen eintraten. Sie prägten Iittala mit Entwürfen, die reduziert, sehr wohl gestaltet, funktional und für jedermann verfügbar waren.

Blaupause Natur

Überquert man die Straße und geht durch den Esplanade-Park, steht man an der Eteläesplanadi 18 vor einem weiteren Designklassiker: dem Möbelhersteller Artek. 1935 hatte eine Gruppe junger finnischer Idealisten um den Architekten Alvar Aalto und dessen Frau Aino das Unternehmen gegründet. Ihre Möbel gründeten auf der Idee von Funktionalität, zeitloser Ästhetik und Langlebigkeit. Als Blaupause diente die Natur und ihre Formen. Es waren Aaltos Entwürfe, die den Weg für den "nordischen" Boom der 1950er-Jahre bereiteten. Sein schlichter Hocker Nr. 60 von 1932 hat sich bis heute rund drei Millionen Mal verkauft. Im vergangenen Jahr erwarb Artek die Rechte an der Kollektion von Ilmari Tapiovaara. Eine Wiederentdeckung, denn der Finne war selbst in seiner Heimat für lange Zeit in Vergessenheit geraten. Seine Entwürfe wie den Windsor-Stuhl Mademoiselle (1956) gilt es nun neu zu entdecken.

Dies wird Aaltos Vorherrschaft nicht schmälern. Der Architekt und Designer Aalto ist omnipräsent: Er baute die Finlandia-Halle, stattete das Café in der Akademischen Buchhandlung aus und errichtete das Gebäude der Nordischen Bank an der Esplanade. Wer einen der bekanntesten Entwürfe des Vaters des Modernismus in dessen angestammten Habitat bewundern möchte, reserviert einen Tisch im Hotel Savoy. Neben Möbeln entwarf Aalto 1936 auch die berühmte Savoy-Vase für das Restaurant. Nach Aaltos eigener Aussage ließ er sich dabei von der Form einer Pfütze inspirieren. Die von Iittala produzierte Vase ist im Land der 1000 Seen heute ebenso bekannt wie das Nationalwappen.

Doch Helsinki erstarrt nicht in der Ehrfurcht vor den Altmeistern. Nur einen kleinen Spaziergang von Dom, Markt, Senatsplatz und Esplanadi entfernt liegt der neue Design District. Im Stadtteil Punavuori schlägt das kreative Herz der jungen Szene. Rund um die Uudenmaankatu warten circa 200 Läden, Boutiquen, Galerien, Restaurants und Clubs. Eines der Highlights ist der Shop von Ivana Helsinki. Das Independent-Label der Modemacherin Paola Ivana Suhonen will Geschichten erzählen.

Fennofolk

Und so prägen außergewöhnliche Prints ihre klaren Schnitte - mal tummeln sich Schmetterlinge, mal Rehe, mal Motten auf den Kleidern. "Fennofolk" nennt Paola Ivana Suhonen ihren Stil, der skandinavische Elemente mit slawischen mixt. Die junge Modeschöpferin, die als erstes finnisches Modelabel auf der New York Fashion Week vertreten war, ist charakteristisch für das neue finnische Design. Von seiner Randlage hat es sich in Richtung Europas Mitte bewegt. "Wenn die Designwelt nicht zu uns kommen will, gehen wir eben in die Welt", so könnte das neue Ethos lauten.

Die neue Designgeneration steht am Start. Sie wird ganz bewusst von Pekka Timonen, dem Direktor der Welt-Designhauptstadt Helsinki 2012, gefördert. So erhielt die junge Designgruppe Kokoro & Moi den Auftrag, das Corporate Design für das Großereignis zu gestalten. Sie ersann ein Design, das bunt, verspielt und offen sein will. Denn Offenheit ist das wichtigste Schlagwort unter den Jungdesignern in Helsinki, ebenso wie Internationalität. Und der Erfolg gibt ihnen recht.

So wurde auch das Designkollektiv Imu vom Design Forum Finnland zu den Jungdesignern des Jahres gekürt. Die drei Frauen entwerfen funktionale Möbel, Leuchten und Teppiche, aber auch experimentelle Arbeiten. Als selbsternanntes "Nationales Designteam" will das Trio aber auch anderen jungen Designern eine gemeinsame Plattform geben. "Finnland ist ein kleines Land und das Gebiet Design begrenzt. Deshalb ist es wichtig, die Kräfte zu bündeln, statt gegeneinander zu kämpfen", sagen die Imu-Macherinnen.

Wettbewerbsfaktor Design

Viele der Kreativen kennen sich ohnehin, haben oft auch zusammen studiert: Die Aalto-Universität, eine von vier Kunsthochschulen im Land der Mitternachtssonne, liegt in Arabianranta. Der Stadtteil im Nordosten Helsinkis hat eine lange industrielle Tradition: 1873 wurde hier die Fabrik des Porzellanherstellers Arabia gegründet. Hier entstehen immer noch Aino Aaltos geriffelte Wassergläser und Kaj Francks berühmtes Teema-Service. Der ziegelrote Schlot der Arabia-Fabrik hat jedoch mittlerweile ausgedient. Im Dachgeschoß der Fabrik experimentieren Künstler wie die populäre Keramikerin Heljä Liukko-Sundström in ihren Ateliers. Im Arabia-Museum dagegen kann man eine Reise durch die lange Geschichte des bekanntesten finnischen Keramikherstellers machen.

Ein Highlight für Designliebhaber ist - neben der im Zwei-Jahres-Turnus stattfindenden Möbelmesse Habitare - seit 2005 auch die Helsinki Design Week. Bei einer letzten Runde griff die Designwoche die Wurzeln der nationalen Geschichte auf: Finnische Architekturstudenten entwarfen unter Leitung des Architekten Travis Price gemeinsam mit amerikanischen Kollegen die "Wiege der Kalevala". Die Holz-Glas-Konstruktion beruht auf dem finnischen Nationalepos Kalevala. Der Standardtext Kalevala besteht aus 22.795 Versen, die in fünfzig Gesängen vorgestellt werden. Die temporäre Installation - halb Boot, halb Hütte - auf der Insel Seurasaari ist bereits jetzt ein Ausblick auf den Großanlass 2012.

Die Finnen sind stolz auf ihr Design. Kreativität gilt als ernstzunehmender Wettbewerbsfaktor mit Zukunft, etwas, das sich andere Länder erst bewusst machen müssen. Der Titel "Designhauptstadt 2012" gibt ihnen nun eine Chance, sich als kreativen, bunten, weltoffenen Standort der Öffentlichkeit zu präsentieren. Noch liegt ein kalter, dunkler Winter vor den Gestaltern - genügend Zeit, um Ideen auszuhecken, mit denen sie die Welt im nächsten Jahr empfangen werden. Man darf erwarten, dass diese "erfrischend wie ein Eisberg" sein werden, wie der britische Designmeister Jasper Morrison das nordische Design einmal bezeichnete. (Andrea Eschbach/Der Standard/rondo/14/10/2011)