Trommel statt Pfanne: Seit einigen Monaten röstet Ilker Amuraben nicht nur für sich, sondern verkauft das Ergebnis auch im Caffè A Casa in der Wiener Servitengasse.

In Simmering verleiht Tobias Radinger seinen Bohnen aus Äthiopien, Brasilien oder Kenia die nötige Bräune. In der Kaffeefabrik in der Favoritenstraße wird das Ergebnis verkauft.

Georg Branny wurde mit seiner Espresso-Mischung bei der Barista WM 2008 Vierter. Zu kosten gibt es sie im Caffè Couture in der Garnisongasse, zahlen darf man dafür, so viel man möchte.

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Wien ist oft etwas langsamer, das war schon im 17. Jahrhundert so. Erst ein Migrant aus Griechenland brachte den heißesten Scheiß des Barock in die Stadt: den Kaffee. 1685 eröffnete er Wiens erstes Kaffeehaus, zu einer Zeit, als London, Paris und die Weltstadt Bremen längst welche hatten. Und selbst zu guten Zeiten um 1900, als es in Wien mehr als hundert Röster gab, verdankte das Wiener Kaffeehaus seinen Ruf mehr seinen Gästen als der Qualität des Ausgeschenkten.

Das soll sich nun ändern. Verspätet, aber doch hat die "dritten Welle" des Kaffees auch Wien erreicht, "Third Wave of Coffee", so nennen Amerikaner den aktuellen Schub in Sachen Röstkultur. Die erste Welle brachte Kaffee in jeden Supermarkt, die zweite Starbucks - die dritte Shops, in denen wenig mehr steht als ein paar Mühlen (eine pro Sorte, weil jede einen anderen Mahlgrad braucht), eine Espressomaschine, die mitunter so viel kostet wie ein Kleinwagen und im Idealfall eine Röstmaschine. Tische, Sessel und anderes Klimbim können, müssen aber nicht sein. Hier geht es um den Kaffee, nicht ums Haus.

Wie beim Wein wird auf Herkunft und Sorte geachtet. Statt bloß ums Land geht es um Regionen und Farmen. Haben die Bauern den Strauch beschnitten und damit die Ernte verkleinert und mehr Kraft in den Bohnen konzentriert? Wurden die Früchte per Hand geerntet, was wichtig ist, weil sie zu unterschiedlichen Zeiten reifen? Durften die Bohnen in der Frucht trocknen und so deren Süße aufnehmen? Oder wurden sie nach der Ernte gewaschen, was die Fermentation anregt und ihnen mehr Säure verleiht?

Geschmacksfehler kaschiert

In den USA sind es derzeit kleine Ketten wie Stumptown Coffee aus Portland oder Intelligentsia aus Chicago, die schick und umsatzstark sind. Sie setzen, anders als die meisten Europäer, mehr auf Filterkaffee, dem sie zwar weniger Würze, dafür mehr Aroma zusprechen als dem Espresso. Da die Bohnen für Espresso dunkler geröstet werden, könnten Geschmacksfehler besser kaschiert werden.

Skandinavien surft schon länger auf der dritten Welle, etwa im Coffee Collective des Barista-Weltmeisters Klaus Thomsen in Kopenhagen. In Deutschland sorgt der Coffee Circle für Furore, ein Start-up dreier Ex-Unternehmensberater, die Kaffee direkt bei äthiopischen Bauern kaufen und mit einem Teil des Profits Entwicklungsprojekte vor Ort unterstützen. Und Wien? Hinkt wieder einmal hinterher? Ja. Holt aber langsam auf.

Vor einigen Wochen hat etwa in der Favoritenstraße die Kaffeefabrik aufgesperrt. Ganz fertig ist sie noch nicht, trotzdem steht Tobias Radinger bereits hinter seiner Faema E61 - einer Legende unter den Kaffeemaschinen. Der "Eclipse Solaris", einer Sonnenfinsternis in Norditalien im Konstruktionsjahr 1961, verdankt sie ihren Namen. Radinger hat sie kaputt gekauft und selber wieder hergerichtet.

Die Bohnen in seinen zwei Mühlen wechselt er wöchentlich, noch wird getestet, welche Kombination zum Stammrepertoire werden soll. Drei reinsortige Espresso-Kaffees und eine Mischung sind angepeilt. Alle Produkte sollen von Bauern kommen, die Radinger persönlich kennt - damit aus dem Inbegriff der Kolonialware ein Weg zur Weltverbesserung wird: Wer vor Ort kauft, kann die "Kaffee-Kojoten" umgehen, jene fahrenden Händler, die Kleinbauern zu Spottpreisen ihre Ernte abkaufen. Radingers nächstes Ziel sind Direktimporte aus Nicaragua.

15 Minuten, 210 Grad

In einer Fabrikhalle in Simmering steht sein Trommelröster zwischen Stoffsäcken mit Rohkaffee, einmal pro Woche sorgt er hier abends für Nachschub. In der kleinen Trommel werden die Bohnen für etwa 15 Minuten auf 210 Grad erhitzt und dann langsam abgekühlt. Industrielles Rösten geht viel schneller, weshalb dabei weniger Säuren abgebaut werden und die Bohnen nicht gleichmäßig durchrösten. Zum Kühlen werden sie in der Fabrik oft mit Wasser gespült, was den Geschmack verdirbt.

In der Garnisongasse ist Georg Brannys Caffè Couture untergebracht. Von außen sieht es mehr aus wie ein Büro als eine Bar: Drinnen steht nichts außer zwei Tischen und einer La Marzocco-Espressomaschine - handgemacht in Florenz, für 15.000 Euro. Während des Durchlaufs kann Branny an ihr den Druck auf Dezi-Bar genau regeln und ständig variieren, sodass er beim gleichen Kaffee einmal die Säure, dann die Süße betonen kann. Derzeit bietet er eine Mischung an, deren genauer Inhalt nicht verraten wird. Branny wurde damit Vierter bei der Barista-WM 2008, die Bohnen kommen aus Guatemala, Nicaragua, Indien und Kenia.

In der Pfanne geröstet

Er röstet alle zwei Wochen bei Freunden in einer kleinen Rösterei bei Mailand und sucht nach einem Standplatz für eine Maschine in Wien. Neben dem Geschäft in der Garnisongasse will er im Herbst einen Imbiss eröffnen, mit Sandwiches und Müsli-Bar.

Nur ein paar Ecken weiter, im Serviten-Viertel, hat Ilker Amuraben vor sechs Monaten sein Caffè a Casa eröffnet. Er arbeitet mit einer Nuova Simonelli, der offiziellen Maschine der Barista-WM.

Der Ex-Manager aus der Türkei hat immer schon Kaffee selbst geröstet, erst für den Eigenbedarf in der Pfanne, jetzt für die Kunden in der Trommel. Derzeit bietet er reinsortige Röstungen aus sechs Ländern. Amuraben arbeitet mit der Rösterei Alt-Wien zusammen, bis er eine Genehmigung für seine eigene Röstmaschine bekommt, die schon im Geschäft steht. Das kann allerdings noch dauern. Wien ist eben oft etwas langsam. (Tobias Müller/Der Standard/rondo/09/09/2011)