Möchte man eines der Möbelstücke des Berliners Le Van Bo besitzen, muss man selbst Hand anlegen. Dafür kostet es aber dann auch kaum was

Foto: Daniela Kleint

Wann ist ein Mann ein Mann? Zum Beispiel nicht, wenn er mit einer kaputten Türklinke zum Schmied geht. Denn dann sagt der: "Wenn du ein Mann bist, sparst du dir das Geld und reparierst sie selbst!" Für Le Van Bo, schmale Statur, sonniges Lächeln, war dieser Satz ein Erweckungserlebnis. Denn es brachte ihn, der eigentlich ein Strategie- und Konzeptentwickler bei einer Kreativagentur ist und kein Bastler oder Heimwerker, auf die Idee, etwas bauen zu wollen. "Sich etwas ausdenken, etwas selbst reparieren, etwas bauen", sagt der 34-Jährige, "das macht einen doch unabhängiger, freier. Das ist wirkliche Lebensqualität."

Van Bo, dessen Eltern aus Laos stammen und der in Berlin aufgewachsen ist, wollte ein Möbelstück bauen, für seine Verlobte. Er buchte also einen Kurs bei einer Berliner Volkshochschule: "Tischlern für Anfänger". Und weil er nicht viel Zeit hatte, sollte es ein Möbelstück sein, das eben nicht viel Zeit in Anspruch nimmt. Van Bo liebt die klaren und strengen Formen des deutschen Bauhauses und dessen detaildurchdachte Qualität. Und er mag die Idee der deutschen Design- und Architekturpioniere der Moderne, nämlich schöne Dinge zu entwerfen, die für jedermann erschwinglich sind. 

Teuer und hässlich

Also baute Van Bo einen Sessel - aus einem einzigen, 18 Millimeter starken Kieferbrett, das er im Baumarkt besorgt hatte, und aus ein paar Teppichgurten. 24 Euro hat der Sessel gekostet und rund 24 Stunden braucht man, um ihn herzustellen. "Viele Möbel sind teuer und hässlich", sagt er. "Ich wollte zeigen, dass man auch mit wenig Geld ein gut aussehendes, hochwertiges und zeitlos schönes Möbelstück bauen kann."

Hartz-IV-Sessel hat er das schöne Stück getauft, nach dem berüchtigten Arbeitslosengeld in Deutschland, das nach dem früheren VW-Personalchef Peter Hartz benannt wurde. Inspiriert wurde der Sessel vom Crate Chair eines Gerrit Rietveld (1938), einem Armchair von Erich Dieckmann (1928) oder vom Barcelona Chair, den Mies Van der Rohe 1929 kreiert hat.

Schlicht und praktisch

Nun steht der Sessel in dieser Berliner Einzimmerwohnung, die im westlichen Charlottenburg liegt, in der Nähe von Sexshop, Wodka-Lounge und Aldi. Das Appartement hat er nach dem Künstler George Grosz benannt, der in den 1920er-Jahren in der Nähe des Savigny-Platzes eine Wohnung hatte. Die Farben in der Wohnung sind von Grosz' Bildern inspiriert. Van Bo, Flip-Flops, T-Shirt und Bermuda-Shorts, springt herum und zeigt einem Pärchen sein selbstgebasteltes Sofa, das sich in ein Bett verwandeln lässt. Dann holt er aus einer Ecke den "Berliner Hocker" hervor, ein schlichtes, praktisches Stück. "Den kann man als Sitzgelegenheit, Regal oder Tisch benutzen."

Mittlerweile hat Van Bo eine ganze Reihe von Hartz-IV-Möbeln zum Selbstbauen entworfen. Vor kurzem stellte er seine Hartz-IV-Wohnung beim International Design Festival (DMY) in Berlin vor. Er gibt Workshops, im In- und Ausland. Gerade war er in Warschau.

Das Selbstbauen der Möbel ist für Van Bo der eigentliche Clou. "Man muss schon ein paar Fertigkeiten lernen, um die Möbel zu bauen. Auch wie man beispielsweise mit einer Japansäge umgeht. Aber wenn man das will, kann man das schaffen. So einen Sessel gebaut zu haben, ist ein tolles Erlebnis." Die Baupläne für die Möbel gibt es bei Van Bo, der in der Berliner Hip-Hop-Szene auch unter dem Namen Prime Lee bekannt ist, kostenlos - nur eines will er dafür haben: Offenheit. 

Offenheit

Über 2000 Mal hat er die Pläne bereits verschickt. "Ich schicke den Leuten einen Fragebogen zu und dann müssen sie mir erklären, warum sie die Möbel bauen wollen. Das ist ein Nehmen und Geben. Da gibt es ganz unterschiedliche Gründe. Abgesehen davon, dass mich Leute kontaktieren, die wirklich kein Geld haben, sind es vor allem diejenigen, die etwas zusammen mit ihren Kindern, Partnern oder Freunden machen wollen oder die sich in einer Krise befinden."

So erhielt Van Bo beispielsweise diese Mail: "Ich habe vor acht Monaten mein Studium abgeschlossen. Jetzt bin ich ziemlich ratlos. Selbstfindung, Grundsatzdiskussionen, akute Lustlosigkeit - das volle Programm. Jedenfalls sieht es momentan schlecht aus mit einem Job und generell mit einer Perspektive. Meine Motivation ist, endlich mal wieder etwas zu machen, etwas vollständig zu Ende zu bringen und das Ergebnis zu sehen. Ich glaube, wenn ich mich in den fertigen Sessel setze, würde mir das helfen, meine Motivation zurückzugewinnen und endlich etwas zu unternehmen." 

Optimismus

Lernen, machen, sich an den eigenen Haaren aus dem Dreck ziehen, sich nicht unterkriegen lassen - all das kennt Van Bo als Flüchtlingskind, das im rauen Berliner Wedding aufwuchs, der Vater Elektroinstallateur, die Mutter früher Schneiderin, heute Nonne. "Von ihr habe ich gelernt, optimistisch auf die Dinge zu schauen und machbare Lösungen für Probleme zu finden. Auch das Nehmen- und-Geben-Prinzip habe ich von ihr."

Der studierte Architekt will Mut machen, in einer Zeit, die viele zu überfordern scheint, in der es aber auch viele Menschen gibt, die immer häufiger Fragen stellen. Das Leben in die eigene Hand nehmen - das ist der Lebenssaft, aus dem Van Bos Hartz-VI-Projekt gebraut ist. "Es gibt einen großen Demokratisierungsschub in unserer Zeit", meint Van Bo. "Man ist nicht mehr nur Konsument, sondern kann gleichzeitig Autor, Produzent, Marketingmanager und Konsument sein. Vor allem durch das Internet." Das sei eine starke Demokratie-Dynamik, die ja schon im Bauhaus und auch in der Volkshochschule angelegt gewesen sei. Man glaubt gar nicht, was aus einem Besuch bei einem Schmied alles entstehen kann. (Der Standard/rondo/19/08/2011)