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Am Ende von Jean Paul Gaultiers letzer Modeschau führte er das Hochzeitskleid vor: Dass Andrej Pejic eigentlich ein Mann ist, fiel den wenigsten Besuchern auf.

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Andrej Pejic bei der Fashion Show in New York im Februar.

Foto: APA/JASON SZENES

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Hier bei der Fashion Show in Rio im Juni.

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Es ist ein heißer Tag auf der Terrasse eines neuen Designhotels in Wien. Andre Pejic sitzt auf dem Sofa und trinkt Cola light. Er ist groß, trägt platinblondes, langes Haar, ein hautenges T-Shirt sowie Röhrenjeans und schwarze Lack-Turnschuhe der eher unweiblichen Größe 43. Selbst wenn man darauf vorbereitet ist, verblüfft die androgyne Erscheinung des jungen Mannes. Er spricht mit zarter, hoher Stimme und bewegt sich so geschmeidig, wie man es sonst nur von weiblichen Models gewöhnt ist. Wirklich berühmt wurde der gebürtige Serbe, der in Australien aufgewachsen ist, als eine US-Buchhandlungskette ein Magazin aus dem Verkauf zog, auf dem der 19-Jährige mit weiblicher Frisur und nacktem Oberkörper posierte. Absurderweise scheint es das Fehlen von Brüsten gewesen zu sein, das die Buchhändler ihren Kunden nicht zumuten wollten.

DER STANDARD: Stimmt es, dass Sie es im US-Männermagazin "FHM - Good News for Men" unter die weltweit hundert "sexiest women" brachten, weil die nicht wussten, dass Sie ein Mann sind?

Andrej Pejic: Ja, das Ganze war ein bisschen hässlich, weil ich dann plötzlich weder als Mann noch als Frau galt und nur noch "das Ding" genannt wurde. Die armen Leute vom FHM waren wohl ein bisschen verwirrt. Aber ich habe auch gehört, dass sie sich später dafür öffentlich entschuldigt haben.

DER STANDARD: Fühlen Sie sich durch so etwas verletzt?

Pejic: Konservative Menschen gibt es überall. Wenn mich das, was die Leute über mich denken und sagen, verletzen würde, müsste ich die ganze Zeit wie ein verwundetes Tier herumlaufen. Also nein, ich lasse diese Dinge nicht mehr an mich heran. Abgesehen davon ist das das Problem des Magazins beziehungsweise der Gesellschaft - aber nicht meines. Schließlich waren sie es, die mich in die Liste gewählt haben und mit dem Ergebnis nichts anzufangen wussten. Ich hoffe allerdings, bei der nächsten Wahl ein paar Plätze nach oben zu kommen. Am liebsten unter die ersten drei!

DER STANDARD: Wie reagieren Männermodels auf Sie?

Pejic: Anfangs reagieren sie ein wenig befremdet, aber das legt sich sehr bald. Wir gehen oft zusammen aus und haben unseren Spaß. Mich fragen sowohl männliche als auch weibliche Kollegen, ob ich mit ihnen ausgehen will. Eigentlich genieße ich die doppelte Nachfrage.

DER STANDARD: So jemanden wie Sie, der sowohl für ein weibliches als auch für ein männliches Schönheitsideal steht, hat es noch nie gegeben.

Pejic: Ja, es ist definitiv etwas ganz Neues, das weiß ich. Und ich hoffe, es wird mir in Zukunft viele Möglichkeiten verschaffen.

DER STANDARD: Sie schauen wie ein wunderschönes Mädchen aus. War das schon in Ihrer Kindheit so?

Pejic: Das kann ich so nicht sagen. Aber eine meiner ersten Kindheitserinnerungen ist es, in der Garderobe meiner Mutter zu stehen, durch ihre Kleider zu stöbern und diese anzuprobieren. Ich schminkte mich gerne, hatte viele Freundinnen und spielte mit Puppen.

DER STANDARD: Was sagten Ihre Eltern dazu?

Pejic: Wenn man ein Kind ist, finden das alle herzig und akzeptieren es. Erst als ich ein "bestimmtes Alter" erreicht hatte, wurde von mir erwartet, dass ich mich wie ein anständiger Junge benehme. Gott sei Dank hat mich meine Mutter immer dabei unterstützt, so zu sein, wie ich bin.

DER STANDARD: Wo lebten Sie zu dieser Zeit?

Pejic: In Australien.

DER STANDARD: Wären Sie heute derselbe, wenn Sie in Serbien, Ihrem Geburtsland, aufgewachsen wären?

Pejic: In diesen Belangen und bei allem, was mit Gender zu tun hat, ist Serbien sehr konservativ. Der typische Balkan-Mann ist nach wie vor ein Macho. Vermutlich hätte ich es als Jugendlicher dort sehr schwergehabt. Zumindest wäre es sehr verwirrend gewesen. Ich hätte wahrscheinlich andauernd versucht, dem dortigen männlichen Ideal zu entsprechen. Die hätten es mir sicher ziemlich schwergemacht, in aller Ruhe mit Barbie-Puppen zu spielen.

DER STANDARD: Mochten Sie Barbie-Puppen?

Pejic: Ja. Und ich mag sie noch immer. Barbie ist eine Ikone und die beste Erfindung, die es gibt. Gewissermaßen war sie das erste Supermodel überhaupt.

DER STANDARD: Wie war die Zeit zwischen Kindheit und Erwachsensein?

Pejic: Es war auch in Australien nicht sehr einfach. Ich habe mich sehr bemüht, ein richtiger Bub zu sein.

DER STANDARD: Was tut man da, um ein richtiger Bub zu sein?

Pejic: Na ja, eben mit anderen Jungs Rugby zu spielen oder mit meinem älteren Bruder Igor mitzuhalten, der das totale Gegenteil von mir ist.

DER STANDARD: Ihr Bruder Igor sieht auch gut aus.

Pejic: Ja, ich versuche ihn gerade dazu zu überreden, auch zu modeln. Er hat dunkle kurze Haare, ist sehr muskulös und männlich. Das Einzige, was wir gemeinsam haben, sind die Augenbrauen. Aber nicht einmal er schaffte es, aus mir einen normalen Buben zu machen.

DER STANDARD: Hat Sie das belastet?

Pejic: Ich musste das ja alles erst einmal für mich klären. Ich war immer ein bisschen scheu und zog mich ständig mehr zurück. Schon als Kind war ich sehr unabhängig und brauchte viel Freiheit, also war es okay für mich, viel allein zu sein. Aber irgendwann kam der Punkt, an dem ich mir dachte: "So. Jetzt reicht's."

DER STANDARD: Wie alt waren Sie da?

Pejic: 14. Ich ließ meine Haare wachsen, färbte sie rosa und trug knallenge Jeans. Ich war so ein bisschen Punk. Ja, Punk gab mir die Möglichkeit, ein kleiner Rebell zu sein. Dann wechselte ich in eine sehr gute Kunstschule, wo man meine Andersartigkeit unterstützt hat. Dadurch wurde ich auch weniger asozial.

DER STANDARD: Tragen Sie eigentlich gerne Frauenkleider?

Pejic: Aahhhmmmm (mit sehr hoher Stimme), manchmal ... nicht sehr oft, außer ich finde das Kleid wirklich toll, dann zieh ich es natürlich an.

DER STANDARD: Wie sieht es mit Make-up aus?

Pejic: Ein rauchiges Augen-Make-up und Lippenstift sind schon etwas Tolles, aber zu viel sollte es nicht sein. Ich steh überhaupt nicht auf Drag.

DER STANDARD: Haben Sie einen Lieblingsdesigner?

Pejic: Balenciaga, Givenchy und natürlich Gaultier. Gaultier war die beste Show, bei der ich jemals gelaufen bin.

DER STANDARD: War es auch die erste Show, in der Sie sowohl für die Männer- als auch für die Frauenkollektion liefen?

Pejic: Schon in Australien machte ich ein paar Frauenmodeschauen, Gaultier war also nicht die allererste, aber die erste wirklich große Show. Schon damals empfand ich es als etwas sehr Besonderes, im Hochzeitskleid auf dem Laufsteg zu laufen.

DER STANDARD: Sind Sie selbst auf die Idee gekommen, sowohl in Männer- als auch in Frauenkleidern zu modeln?

Pejic: Als ich nach London kam, traf ich Sarah Doukas, die Besitzerin von der Modelagentur Storm. (Anm.: Sarah Doukas war es auch, die Kate Moss entdeckte und von deren Starqualität überzeugt war, obwohl Moss damals als viel zu klein galt). Es war ihre Idee, mich in ihrer Agentur sowohl am männlichen als auch am weiblichen Board zu verbuchen. Die meisten Fotografen, die sich für mich interessierten, fotografierten hauptsächlich Mädchen. Also fing ich an, für Frauenmodehefte wie die französische Vogue zu arbeiten. Das Ganze entwickelte sich einfach.

DER STANDARD: Könnte man sagen, dass es einfacher ist, in Frauenkleidern zu modeln?

Pejic: Meinen Sie allgemein oder für mich persönlich?

DER STANDARD: Für Sie persönlich.

Pejic: Ja. Es ist es weniger anstrengend. Ich glaube, ich verführe und bewege mich gerne. Bei Männerkleidern heißt es immer: "Steh einfach ruhig da und bewege dich bloß nicht!" Anscheinend deswegen, weil ich zu feminin bin, und wenn ich mich bewege, jedes Kleidungsstück seine Männlichkeit verliert. (Cordula Reyer/Der Standard/rondo/05/08/2011)