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Der Bengel hat, anders als die Wissenschafter von Gillette, leicht lachen.

Foto: Mike Kemp / Rubberball / Corbis

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Rasier-Oberauskennerin: die Pharmazeutin Kristina Vanoosthuyze im Gillette Inovation Centre.

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Nimmt einem der Portier am Eingang des Backsteingebäudes doch tatsächlich das Handy ab. Dabei geht es im Gillette Innovation Centre in Reading, unweit von London, nicht um Raketenforschung. Hier heißt das Thema Rasieren, eine Alltagsgeschichte, die kaum komplizierter scheint als das Streichen eines Butterbrots. Fasst man Stunden später sein Telefon wieder aus, ist einem bekannt, dass diese scheinbare Morgenbanalität allein hier in Reading 130 Leute auf Trab hält: Biologen, Chemiker, Dermatologen, Techniker, Physiker und Graham Simms, der tatsächlich einst in Diensten von British Aerospace Navigationssysteme für militärische Raketen ausbaldowerte.

Seine Kollegin, die Pharmazeutin Kristina Vanoosthuyze, führt einen vorbei an einer Hütte, in dem Mitarbeiter ihre Morgenzigarette pofeln, über das Gelände in Richtung "Shave-Tester-Lab". Schon auf den ersten Metern macht sie einiges klar: Kein Mann rasiert sich wie der andere, Kerle bringen sich das Rasieren in der Regel selbst bei, Barthaare sind so stark wie Kupferdraht, und 70 Prozent der Männer rasieren sich nass.

Außer-Haus-Körperpflege

Der eine laboriert zehn Minuten an seinen Stoppeln herum, übt dabei einen Druck von 50 Gramm auf seine Gesichtshaut aus, der andere erledigt das Ganze in 30 Sekunden bei einem Druck von 1,5 Kilogramm. Manch einer verzieht beim Rasieren die Visage, als würde eine Biene auf seiner Nasenspitze sitzen, ein anderer schabt mit steinerner Miene so oft und schnell, als gäbe es dafür bezahlt.

Geld fürs Rasieren gibt's allerdings wohl nur hier in Reading, wo schon um sieben in der früh einiges los ist, wenn sich Tag für Tag an die 80 Männer aus dem Ort zur Rasur einfinden. Wie groß der Obolus für die Außer-Haus-Körperpflege ausfällt, will Vanoosthuyze nicht preisgeben.

In zehn Boxen stehen die Männer, ausgestattet mit einer kleinen Kunststoffkiste, in der sich Rasierzeug und ein Protokoll befinden. Vor einem großen Spiegel waschen sie ihre Gesichter. Der eine kneift die Augen zu Schlitzen zusammen, jener in der Nachbarkoje zieht eine schaumumrandete Schnute, ein anderer schaut so grimmig, als wüsste er, dass hinter dem Spiegel ein Gillette-Mitarbeiter im weißen Kittel steht und dem Lohnrasierer in FBI-Manier auf die Klinge schaut. Einer wird sogar gefilmt.

Elefantenhintern in Vaseline

Die Makro-Bilder der versteckten Kamera gibt's einen Stock höher im "High Speed Imaging"-Labor, einer Art Fotostudio, zu sehen. Schon kurz nachdem der Film abläuft, ist der Zeitpunkt gekommen, sich zu fragen, was die Werber einst zum Slogan "Für das Beste im Mann" bewegten. Wie schwarze, entrindete Baumstämme ragen die Barthaare kreuz und quer aus einer wabbeligen Masse heraus, die eher an einen in Vaseline getauchten Elefantenhintern erinnern als an das "Beste" im Mann. Klingen kennen keine Gnade könnte der Titel des Kurzfilms lauten. Zu allem entschlossen, bewegen sich die Rasierblätter übers Stoppelfeld. Haut und Haar wirken extrem elastisch und flexibel. Es scheint, als wollten sie dem Stahl ausweichen. Welchen Nutzen die Wissenschafter von diesen Bildern haben, auch das weiß Kristina Vanoosthuyze: "Das Barthaar ist extrem hart, wächst aber aus einem sehr weichen, gar nicht glatten Substanz. Wie kriegt man das Blatt eines Rasierers so nahe wie möglich an die Hautoberfläche, ohne diese zu schädigen?"

Eine Forschungsstation weiter, sie wird "Instrumental Labor" genannt, gehen die Wissenschafter der Frage nach, mit welchen Bewegungen sich Männer rasieren. Geht der eine seinen Stoppeln mit 25 Zügen an den Kragen, säbelt der andere mit ganzen 700 Schabern seinen Bartwuchs nieder. Wissenschafter Dan Col bringt hier elektronische Marker auf Rasierer, Arm und Gesicht an und verfolgt über Hightech-Infrarot-Kameras, in welchen Winkeln Bewegungen ausgeführt werden. Das wirkt sich auf die Konstruktion der Gelenke am Rasierer und der beweglichen Teile der Rasierblätter aus. Auf den Bildschirmen zu sehen sind abstrakte, geometrische Bewegungen, die an computeranimierte Gottesanbeterinnen erinnern.

Während einer Kaffeepause bleibt Zeit, Vanoost- huyze zu fragen, wann eine Klinge eindeutig im bzw. für den Eimer sei. Frau Dr. sagt, das hänge von der Stärke des Bartwuches und der Art, sich zu rasieren, ab. Man könne aber davon ausgehen, dass Klingen nach ihrer zehnten Rasur an Schärfe verlieren. Noch bevor der Kaffee geleert ist, gibt's Infos über Teflonbeschichtung, Lubra-Streifen, 13 Schweißpunkte pro Rasiererblatt und die Ansage, dass eine werksfrische Rasierklinge schärfer als jedes Skalpell ist.

Maschine spuckt Design

Doch hier macht die Forschungsarbeit noch lange nicht Feierabend. Designer Jean Clarke beschäftigt sich mit Concept-Engineering, Kartonmodellen, mit Trends und Moden, ehe seine Entwürfe als Prototypen einen Stock tiefer wie durch Geisterhand aus einer Rapid-Prototyping-Maschine gespuckt werden. "250 Designs pro Woche werden hier dreidimensional ausgedruckt und getestet, bevor in einer Werkstatt Formen und echte Prototypen gebaut werden", erklärt Vanoosthuyze. In dieser Werkstätte gibt es massenhaft Rasiererblätter. Aufeinandergestapelt erscheinen die Klingen schwarz. "Die sind so dünn, dass sie das Licht nicht mehr reflektieren", erklärt die Rasier-Oberauskennerin, ehe Kollege Mike Raine-Howe zeigt, wie er die Nassrasierer mittels Röntgenapparat unter die Lupe nimmt. Das kann aufschlussreich sein, wenn es darum geht, Elektroteile in elektrischen Nassrasierern zu prüfen, und hilft auch dem Designer.

Die Frage, ob es eine perfekte Rasur gibt, beantwortet Vanoosthuyze nicht eindeutig: "Im Prinzip will ich niemandem dreinreden, aber man sollte sich vor der Rasur das Gesicht waschen, das macht die Haut weicher, die Züge sollten weder zu fest noch zu häufig sein, je weniger, desto besser. Ferner empfehle ich von oben nach unten zu rasieren, den Hals zum Schluss. Als sich die Führung durch das Innovation-Centre schließlich tatsächlich ihrem Ende neigt, dürfte auch schon der eine oder andere morgendliche Lohn-Rasierer Feierabend machen. Das Handy steckt wieder in der eigenen Tasche, und die Raucherhütte auf dem Werksgelände steht einsam und allein. Selten hat man sich so bewusst am Kinn gekratzt wie an diesem Abend, und noch nie war man so gespannt auf seine nächste Rasur. (Michael Hausenbals/Der Standard/rondo/10/06/2011)