Forscher in L'Oréals neu eröffnetem Labor Episkin arbeiten in steril reinen Räumen und testen auf künstlicher Haut Verträglichkeit von Produkten und neue Moleküle.

Foto: Hersteller

Die kleinen rosa Scheibchen sehen aus wie dicke große Kontaktlinsen, sie kommen in Nährlösung schwimmend im Sechser-Pack und sind im Forschungsinstitut Episkin in Lyon die ganz großen Stars. Es ist künstliche Haut. Fast 30 Jahre wurde daran gearbeitet, und wenn die Dame im weißem Schutzanzug, Brille und Maske sie aus dem Reinraum heraus den Besuchern durch die dicke Glasscheibe zeigt, dann wirkt das fast so, als ob eine Kinderschwester in einer Geburtenstation ein Neugeborenes den Verwandten draußen präsentiert. Sogar der L'Oréal-Chef Jean Paul Anod ist für diese kosmetische Sensation extra nach Lyon gereist: "Es ist eine neue Ära in der Kosmetik, eine ,universalisation' der Hautforschung", verkündet er stolz.

Seine Research-Communication-Managerin Patricia Pinneau erklärt dann die Dimension dieser Revolution in Rosa: "Die Technologie ermöglicht es uns, neue Produkte, umfassend getestet und damit extrem verträglich, viel schneller als früher auf den Markt zu bringen", sagt sie, und das sei in der Branche und bei den strengen Kontrollen durch die Europäischen Union ein entscheidendes Kriterium für Marktführerschaft. Bei einem Umsatz von 19,5 Milliarden Euro pro Jahr investiert L'Oréal 665 Millionen Euro in die Forschung. Wenn einer der 3300 Wissenschafter rund um den Erdball also ein neues Molekül entdeckt (eines, das Falten killt oder Pigmentflecken verschwinden lässt oder Pickel besser vertreibt), dann lässt es sich sofort auf der künstlichen Haut austesten, ob eine auf den ersten Blick vielversprechende Innovation es auch tatsächlich wert ist, weiterentwickelt zu werden. 612 Patente registrierte L'Oréal 2010, mit Episkin soll diese Zahl in Zukunft rapide steigen.

Rund um den Erdball

130.000 Einheiten der rosa Hautscheibchen stehen zur Testung bereit. Gerade wird hier ein Sonnenschutzmittel, Faktor 60, einem Check unterzogen. In steriler Umgebung träufelt eine Laborantin einen Tropfen auf das rosa Hautpölsterchen, taucht es in eine lila Flüssigkeit und verfrachtet es in eine Zentrifuge. Färbt sich die künstliche Haut lila, ist das Mittel gut verträglich, bleibt sie weiß, nicht. Wer nun einwendet, dass es ganz unterschiedliche Hauttypen auf dieser Erde gibt, bekommt von Patricia Pinneau eine sehr schnelle Antwort. Ein Sample vereint in sich unterschiedliche Hauttypen.

Wie ein Sample erzeugt wird? Gesunde Hautzellen werden bei Schönheitsoperationen "geerntet", daraus werden die Keratinozyten, also die Zellen, aus denen die oberste Hautschicht besteht, herausgelöst, im Labor vermehrt und eingefroren. "Für ein Sample werden Keratinozyten aus vier Quellen vereint, damit sind die Tests wesentlich aussagekräftiger", erklärt die blonde, etwas streng wirkende Chemikerin, die beim Blick in die Zukunft fast ein bisschen ins Schwärmen gerät.

Zum einen könnten nämlich schon bald die für die Hautverfärbung verantwortlichen Melanozyten in die künstliche Haut integriert werden, um so effizientere Mittel gegen Pigmentflecken und damit für einen ebenmäßigen Teint zu entwickeln - ein Ziel, das vor allem für den asiatischen Raum ganz oben auf der Liste der Forscher steht. "Von 100 möglichen Molekülen dafür sind unter Umständen nur zwei als Kosmetikinhaltsstoff brauchbar, mit den neuen Verfahren lassen sich viel schneller als früher die vielversprechendsten herausfiltern", sagt sie und klingt genauso wie ein Forscher aus der Pharma- industrie, der neue Arzneimittel auf den Markt bringt.

Auch für schwarze Haut

Unschätzbar wertvoll seien auch die Daten, die sich aus den Tests mit künstlicher Haut lukrieren lassen. Sie geben den Forschern Auskunft, was sich gut womit kombinieren lässt. L'Oréals Produktportfolio vereint 20 internationale Marken unter seinem Dach, allein 2010 wurden weltweit 4,5 Milliarden Produkte erzeugt. "Wir sind der einzige Konzern, der auch für schwarze Haut entwickelt", ist CEO Anod besonders stolz.

Am alleraufregendsten für Pinneau ist aber die Vision, die unter die Haut geht. "Unsere Chemiker sagen, dass es eventuell eine Zuckerverbindung gibt, die auf die Hautoberfläche aufgetragen wird, dann aber Enzyme aktiviert, die ihre Wirkung in den untersten Hautschichten, also da, wo Hautalterung tatsächlich stattfindet, entfaltet", sagt sie und spricht den großen Traum der Kosmetikindustrie an. Bisher durften nur Dermatologen unter die magische Basallinie, um dort mit den wirklich effizienten Mitteln gegen Falten und Co anzukämpfen. "Einstweilen ist es Hypothese, aber wir arbeiten daran, dass wir von außen mit Enzymen immer weiter nach innen kommen", so die Forscherin. Die kleinen rosa Scheibchen künstlicher Haut sind die Drehscheibe für kommende Innovationen, die die Haut rund um den Erdball ebenmäßiger und faltenfreier machen soll. (Karin Pollack/Der Standard/rondo/10/06/2011)