Das klassizistische Palais ist um einen Prunkraum reicher - der erinnert aber an die Höhle eines Bond-Bösewichts.

Foto: Gerhard Wasserbauer
Foto: Gerhard Wasserbauer

Als Silvio Nickol vor ein paar Jahren aus der Küche des deutschen Edelkochs Harald Wohlfahrt zum Küchenchef des (inzwischen skandalumwitterten) Kärntner Schlosshotels Velden berufen wurde, waren drei Michelin-Sterne und der Nimbus als "bester Koch des Landes" sein erklärtes Ziel. Seit vergangener Woche ist der nun mit zwei Sternen dekorierte Sachse im nach ihm benannten Restaurant des Wiener Palais Coburg zugange.

Zumindest theoretisch hat er die Chancen auf drei Sterne damit gewahrt: Wien kommt im Guide Main Cities of Europe von Michelin vor. Dass die Reifenmacher bislang nie drei Sterne vergeben haben, wo sie nicht auch einen eigenen Guide herausbringen, erhöht Nickols Chancen aber nicht - der Austro-Führer wurde bekanntlich wegen Erfolglosigkeit eingestellt.

Doch das muss nicht die Sorge der Wiener sein, die sich über ein Lokal der obersten Kategorie freuen dürfen, was angesichts der Ausdünnung an der Spitze schon eine tolle Sache ist. Palais-Eigentümer Peter Pühringer, der auch aus Sachsen stammt, ließ das Restaurant durch Luc Richard komplett neu bauen. Dass der Franzose sein Schwiegersohn ist, könnte die Wahl erleichtert haben.

Höhlenartiges Gebilde

Herausgekommen ist ein höhlenartiges Gebilde, bei dem die Fenster mit Vorhängen verschlossen bleiben und eine massive Amethystdruse aus der Wand wächst - angeblich, weil dem Kristall esoterische Wirkung gegen Trunksucht nachgesagt wird, was in einem Haus mit so fantastischem Weinkeller von Vorteil sein könne. Die Akustik ist ein Problem: Wer heikle Gespräche führen will, sollte sich tunlichst ein anderes Plätzchen suchen. Hier hören die Tischnachbarn jede Silbe mit. Warum nicht einer der in ihrer Ornamentik einzigartig prächtigen Prunkräume adaptiert wurde, bleibt offen.

Dafür ist der Service sehr gut aufgestellt. Dem Akzent nach kommen viele Mitarbeiter aus Deutschland, was sich auch in der durchgehenden, mehr als verbindlichen Freundlichkeit und der Kompetenz in Menü- und Weinfragen äußert, die ohne den hierorts so oft gepflogenen Anflug von Gönnerhaftigkeit vorgetragen werden - sehr wohltuend. Der Weinkeller ist legendär, dass er deshalb nur unleistbare Trophäenweine beinhalte, ist aber eine jener urban legends, die nicht oft genug richtiggestellt werden können: Die günstigste Flasche kostet 23 Euro, von den gut 5000 Positionen der Karte sind mehr als 1000 unter der 100-Euro-Schwelle angesiedelt, viele davon in exemplarischem Reifezustand. Dass es Flaschen jenseits der 80.000 gibt, stimmt aber auch.

Ruf als Tellerarchitekt

Nickol bietet zwei Menüs zur Auswahl an, eines davon ist vegetarisch, beim anderen wird (leider) auf Meeresfisch, nicht aber auf importiertes Fleisch verzichtet. Dass die Preise in beiden Fällen die gleichen sind, darf durchaus als Hinweis verstanden werden, dass die Arbeitszeit hier (trotz der Verwendung edler Grundprodukte) den Hauptaufwand darstellt. Dementsprechend aufwändig sind die Gerichte.

Nickol wird seinem Ruf als Tellerarchitekt gerecht. Dass manche Mousses, etwa bei "Symphonie vom Zander" (Bild), zu stark geliert sind, ist ein Manko. Dass bei "Harmonie von der Avocado" alle Elemente - gelierte Rolle mit Papaya-Apfelragout, Crème brûlée mit Zitrone und gebackener Knödel mit Haselnuss - so süß ausfallen, dass sie nicht nur optisch als Pâtisserie durchgehen, ein anderes. Dafür gelingen manche Speisen, wie "Cremige Polenta mit wachsweichem Ei und Shitake-Pilzen" oder "Falsche Jakobsmuschel" aus ganz langsam und komplex mit Gewürzen confiertem Rettich und roter Rübe wahrhaft meisterlich. Das Gericht des Abends aber kommt aus der Pâtisserie: "Délice von der Valrhonaschokolade" ist ein multipel geschichteter Geschmackstorpedo mit allerhand knusprigen, fruchtigen und schaumigen Komponenten - ein echter Oberklassen-BMW von einer Nachspeise, die am Gaumen richtig schön Gummi gibt. (Severin Corti/Der Standard/rondo/15/04/2011)