Esben And The Witch: Kalt ist es auf der Welt geworden. Manchmal glaubt man, es gebe keinen Ausweg aus dem Jammertal.

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Christian Schachinger leidet mit.

Morgen, Kinder, wird's was geben. Und niemand wird sich darüber freuen. Wenn sich eine Band nach einem der gewalttätigsten Märchen benennt, die die pädagogisch ohnehin gern ins Wertlose tendierende Märchenwelt so bereithält, darf man sich nicht wundern, dass hier wenig gelacht wird. Esben And The Witch aus dem britischen Brighton umkreisen in den Songs ihres Debüt-Albums Violet Cries frei assoziierend dieses ursprünglich aus dem Dänischen kommende Schauerstück mit glücklichem Ausgang. Zusätzlich zur Hexengeschichte und Kindesmisshandlung und zu Ritualmorden inklusive zweckentfremdeter Backöfen verhandeln Esben And The Witch aber auch mit dunklen, bedrohlichen Mollakkorden und entrückt in Halleffekten irrlichternder Stimme Themen und Motive aus der Kunstgeschichte, die in der frohlockenden britischen Presse gern mit fünf schwergewichtigen B-Namen aus der A-Liga festgemacht werden: Francis Bacon, William Blake, Hieronymus Bosch, Kate Bush, Blair Witch Project.

Das ist sehr höflich. Immerhin kommt man dadurch gut darum herum, die wesentlichen B-Einflüsse des Trios hinsichtlich der Musik zu verschweigen, The Banshees und ihre Siouxie sowie My Bloody Valentine. Britische Trauerweidenmusik aus der auch für New-Gothic- oder New-Dark-Wave-Kids bekömmlichen Soundbibliothek der 1980er-Jahre. Es geht um dunkle Farben, symbolisch hochaufgeladene Bilder und Effekte, kalte Eiswelten, in Zeitlupe durchs nebelige Panorama fliegende Krähen. Sie selbst bezeichneten das als "Nightmare Pop", waren allerdings von den darüber entzückten Aufschreien in der Blogwelt so angewidert, dass man das mittlerweile nicht mehr sagen darf, weil sich die Bands ja nicht in Schubladen stecken lassen ... Ach, wir kennen das. Bei Esben And The Witch handelt es sich weltweit um die erste Band, die einfach ihr Ding durchziehen will.

Hochgefahrene, mit etlichen Gitarrenspuren und Effektgeräten erzeugte Klangwände an der Grenze zur Rückkopplung, elektronisch erzeugte Nebelschwaden, darunter pochen grimmig Bass und tribalistisch geschlagene Trommel. Das aus zwei Männern und Sängerin und Perkussionistin Rachael Davis bestehende Trio benennt die Wurzeln seiner Kunst mit: "Literatur, Natur, Schmerz, Unglück, Kummer". Aber auch: "Gletscher, Höhlen, der abnehmende Mond."

Im Dunkeln ist gut munkeln - und selbstverständlich übt speziell jene Kunst, die nicht von sonnendurchfluteten Lebensbefindlichkeiten in der Karibik inspiriert wird, auf die meisten Menschen eine größere Faszination aus als das ungleich schwerer nachzustellende Heitere. Schwarze Romantik, das Ende der Welt, sterbende Schwäne. Diese Sachen ziehen einfach mehr. Das Leid anderer Menschen zu betrachten - und damit ein wenig mitzunaschen - macht uns Menschen nicht ganz unglücklich. Man darf sich da nichts vormachen. Die Angst vor dem Tod und Todessehnsucht schließen sich nicht aus, sondern bedingen einander. Endzeitstimmung macht geil. Hinab in eine Höhle zu steigen evoziert stärkere Gefühle, tatsächlich am Leben zu sein, als auf eine Palme zu klettern und das Licht zu fangen.

Insofern hat das mit Esben And The Witch schon seine Richtigkeit. Wenn man schließlich am Ende der Welt angelangt ist, kann ja immer noch ein Sonnenstrahl durch die Wolkendecke brechen. Nach all den Jahren nur äußerst vorsichtig gewagter Innovation im Genre der Trauermärsche um Trauerweiden möchte man ans Ende der Welt aber gar nicht mehr so oft hinfahren. Eine Reggae-Party ist auch nicht schlecht.  (DER STANDARD, Printausgabe, 11.2.2011)