Eine Küche aus der Puppenstube ziert das Cover des Katalogs zur Ausstellung "Counter Space - Design and the Modern Kitchen".

Foto: MoMA

Vor dem Hintergrund all dessen, was Küchenhersteller und Designer heute als unverzichtbar für die Küche der Zukunft erklären, ist eine Rückschau auf die sozialen, technischen und ästhetischen Aspekte der Kulturgeschichte der Küche wichtiger denn je. Durch die sich rasch wandelnden Moden, Layouts und Zutaten der Küchengestaltung kulminieren verschiedenste Tendenzen der Moderne, von der Rationalisierung über die Professionalisierung bis zum individuellen Umgang mit Chaos und Messietum. Noch bis 2. Mai 2011 ist im New Yorker Museum of Modern Art (MoMA) die Ausstellung "Counter Space - Design and the Modern Kitchen" zu sehen.

Mehr als 300 Werke aus der Sammlung des Museums werden gezeigt, von der Architekturzeichnung über Plakate, Fotografien, Archivfilme, Drucke, aber auch Beispiele aus Medienkunst und Malerei - etwa Tom Wesselmanns Still Life# 30 von 1963, das ein typisch amerikanisches Kücheninterieur darstellt. Für Kuratorin Juliet Kinchin ist die Küche nicht zuletzt Indikator wechselnder Techniken, Ästhetiken und Ideologien.

Europäische Einflüsse

Ein Schwerpunkt der Schau liegt dabei auf den europäischen Einflüssen für die Entwicklung des Küchendesigns. Dabei darf natürlich die Frankfurter Küche der Wiener Architektin Margarete Schütte-Lihotzky nicht fehlen. Sie entstand in der Zeit von 1926 bis 1930, als in Frankfurt am Main unter der Leitung des Architekten Ernst May ein Siedlungsbau-Programm großen Umfangs realisiert wurde.

Anders als im "Roten Wien" wurden dabei allerdings keine burgartigen Wohnhöfe gebaut, sondern an die Topografie des Stadtrands angepasste Reihenhaus- und Geschoß-Siedlungen mit individuellem Grünraum - und vor allem: Jede Wohnung erhielt eine Küche, die auf engstem Raum die wichtigsten Einrichtung des Haushalts versammelte. Nach dem Vorbild der Fabrik untersuchte Schütte-Lihotzky Arbeitsabläufe und gliederte sie räumlich neu. Sie stützte sich dabei auf Untersuchungen von Christine Frederick, deren Buch Die rationelle Haushaltführung, übersetzt von der Architektin Erna Meyer, 1922 erstmals auf Deutsch erschien.

Arbeitsersparnis für die Bewohner und reduzierte Baukosten der an verschiedene Grundrisse angepassten, sonst aber standardisierten Küche, waren das Ziel der Reformer. Die New Yorker Kuratoren zeigen in diesem Zusammenhang auch das parallel entstandene Buch Was soll ich kochen? von Thessa Cretschmar, das den "Küchenrundfunk" des "Frankfurter Hausfrauenvereins" begleitete. Ein früher Vorläufer heutiger TV-Koch-Shows? Womöglich.

Chemisches Labor

In den 1920er-Jahren verwandelte sich die Küche in eine "Werkstatt, ein chemisches Labor" wie der tschechische Künstler und Kritiker Karel Teige schrieb. "Sie ist der bestgestaltete und rationalste Raum des modernen Hauses. Ziel aller Bemühungen war die Wohnung für das Existenzminimum, für Angestellte und junge Familien."

In der Nachkriegszeit spielte - zumindest in Amerika - die Küche als Wohnraum eine zunehmend wichtigere Rolle. Ein Zitat aus dem Time Magazine von 1954 trifft in einigem sogar die heutige Situation. Noch während der 1930er- und 1940er-Jahre hatte es dem Zeitgeist entsprochen, "die Küche in eine raumsparende, antiseptische Kabine zu verwandeln (...) Seit dem Krieg wurden Häuser buchstäblich um farbenfrohe, arbeitssparende Küchen herum entworfen, die als Allzweck-Lebensraum für die ganze Familie dienen."

Auch wenn die Ausstellung viele Designbeispiele zeigt, etwa eine mobile Kücheneinheit von Virgilio Forchiassin für Snaidero von 1968 oder einen Solarkocher (1970) von Adnan Tarcici aus dem Jemen, beschränkt sie sich nicht darauf, die heile Welt des Küchenlebens zu predigen.

So zitiert sie den englischen Ingenieur und Architekturkritiker Reyner Banham, der sich 1970 über Absolutheitsansprüche der Moderne amüsierte, die sich auch in der Küche austobten: "Folgen wir den Ansprüchen des 'Good Design', sind wir gezwungen, die nobelsten Konzepte der humanistischen Tradition in direkte Konfrontation mit Rührei und verdreckten Windeln zu bringen." Die großen weißen Abstraktionen, schrieb er, würden wohl endgültig entwertet angesichts von Dreck, Mist und häuslichem Gammel. Die Kuratoren nehmen Banhams Text von 1970 beim Wort und beschäftigen sich auch mit der Mageirocophobia, der tatsächlichen oder vermeintlichen Angst vorm Kochen, mit künstlerisch vermüllten Küchen von John Bratby und Daniel Spoerri.

Empfehlenswert und unterhaltsam ist die Website der Schau: http://www.moma.org/interactives/exhibitions/2010/counter_space. Hier sind nicht nur Abbildungen wichtiger Ausstellungsgegenstände und Termine von Events rund um die MoMA-Schau zu finden, sondern auch viele Werbefilme aus der Frühzeit der Automatisierung der Küche. (Thomas Edelman/Der Standard/rondo/11/02/2011)