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Tom Pécheux beim Schminken von Lydia Hurst für eine Modeschau.

Foto: AP/JEFF CHRISTENSEN
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Eine kleine Farbauswahl.

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"Soll doch jeder machen, was er will!" Beim Thema Trends oder der Frage nach einer Farbe der Saison wird Tom Pécheux leidenschaftlich. "Ich bin nicht dazu da, zu diktieren, ob sich jemand Rot, Orange oder Blau ins Gesicht malen soll." Sollen doch die Medien vom Mädchen-Magazin bis zu Youtube-Clips voll von Anleitungen sein - Tom Pécheux interessiert das nicht. Dazu experimentiert er selbst viel zu gerne. Und so ist oft er der, der in der überraschungsresistenten Modewelt ein Karnickel aus dem Hut zaubert. Letztes Jahr etwa gelang es ihm ausgerechnet beim Defilée von Yves Saint Laurent, von der Mode abzulenken, indem er zarte Modellippen schwarz ausmalte. Bei den soeben zu Ende gegangenen Haute-Couture-Schauen in Paris zeigte er für die Punk-Cancan-Kollektion von Jean-Paul Gaultier Klassisches: ebenmäßigen Teint, Schwalbenschwanz-Lidstrich und perfekte Lippen in Knallrot. Tom Pécheux spielt das ganze Make-up-Klavier in Dur und Moll. Ursprünglich wollte der Franzose Konditor werden. Aber seit er vor 30 Jahren als Beiwagerl der Branchen-Legende Linda Cantello erstmals den Pinsel in die Hand nahm, hatte sich der Tortendekowunsch gleich erledigt. Die Referenzenliste seiner Berufsbiografie ist beeindruckend. Alle Modemedien, alle Top-Fotografen, alle Models, alles da. Außerdem werkte er fast zehn Jahre lang als Make-up-Kreateur für das damals auf dem Farbensektor relativ neue japanische Unternehmen Shiseido.

Letztes Jahr übernahm er nun das Farben-Ruder bei der großen alten Dame der Kosmetik, beim amerikanischen Konzern Estée Lauder, der sein Image der klassischen makellosen Beauty mit großem Einsatz pflegt - ein Image, das in der Make-up-Welt beinahe so stark ist wie jenes von Coca-Cola bei den Erfrischungsgetränken. Alles neu? Alles wild? Nein, aber irgendwie doch. "Ich sehe die Farbpalette von Pure Color wie die Frauen einer Familie. Da gibt es die Oma mit ihren rosa Lippenstiften und vielleicht etwas gewagteren Nagellacken, Mamas mit roten Lippen und Enkelinnen, Cousinen, Tanten, die alles Mögliche ausprobieren und vielleicht einmal einen quietschgelben Nagellack mit nach Hause bringen." In der aktuellen Pure-Color-Kollektion gibt es schon ein paar wilde Cousinen. Grün und Blau von einer Intensität, für die es Mut braucht.

Ein bisschen Concealer reicht

Den Mut zum Experiment und zur starken Farbe ortet Pécheux übrigens nicht unbedingt bei den ganz jungen Frauen. "Sehen Sie sich doch um. Wer traut sich denn, einen grellorangen Lippenstift zu einer violetten Jacke und fuchsiafarbenen Nägeln zu kombinieren? Die Älteren!" So sehr er sich auch weigert, zu sagen, was man wählen soll, so gerne sagt er, wie man es am besten macht. Das Wichtigste ist die Basis, die Foundation. "Erstens: Es gibt keine Palette von Make-ups, die einen Hautton genau treffen. So viele hat nicht einmal Estée Lauder. Zweitens: Man muss mit der Mischung experimentieren, also eigentlich immer zwei oder drei Nuancen zur Hand haben. Drittens: Gute Haut braucht überhaupt keine Foundation. Ein bisschen Concealer reicht. Auf mittelguter Haut soll man die Foundation mit den Fingern auftragen, auf üble Haut mit dem Schwamm. Ach ja, und nie Puder auf die Wangen." Zu dicke Make-ups gelte es überhaupt zu vermeiden. Tom Pécheux hat immerhin das Seinige getan, damit Anfang der 1990er-Jahre Schluss war mit dicken Augenbrauen, Rougebalken und maskenhaften Power-Look. Er darf sich in der Zusammenarbeit mit dem Modefotografen Mario Testino rühmen, zu dieser Zeit einen Look erfunden zu haben, der als glamouröser Gegenentwurf zum Grunge gegolten hat.

Pécheux ist durch die Arbeit für Modeschauen und Modefotografie gewohnt, Farbe für das Gesicht im Kontext mit Mode und ganz bestimmten Outfits zu denken. Dieses Know-how nimmt er auch zu Estée Lauder mit. Die Nagellacke der wilden Cousinen, also die Grüns und Violetts, sieht er als kleine, isolierte Farbblocks. "Also zum Beispiel ein schwarzes Outfit, knallige Lippen, und aus." Keine Frau soll als wildgewordener Schminkkasten herumrennen, wenn es nach ihm geht. "Ein Make-up soll so wirken, dass die beste Freundin sagt: Mensch, siehst du gut aus! Und nicht: Hast du einen neuen Lippenstift?" Über die Rhetorik der Schönheit weiß Tom Pécheux also auch einiges. Befragt nach seiner bevorzugten Augen-, Haut- und Haarfarbe seiner Models, meint er kokett: "Dunkle Augen, dunkle Haare. Blond und blauäugig ist auch okay. Aber die Dunklen sind mysteriöser, interessanter." Gut gebrüllt, ist doch die Mehrheit der anwesenden Damen dunkeläugig. Womit man auf Umwegen erfährt, dass ein Kompliment für die Schönheit ebenso wichtig ist wie gutes Make-up. (Bettina Stimeder/Der Standard/rondo/04/02/2011)