Seit 1976 gibt es Major Adolf Kottan. In den ersten beiden Folgen wurde er von Peter Vogel (unten gemeinsam mit "Schrammel" Curth Anatol Tichy),

 

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... später von Franz Buchrieser

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... und Lukas Resetarits  gespielt.

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Zwischen den Berufstiteln Major und Inspektor liegen Welten. Ein Major ist einer, der sich darauf beschränkt, ein wenig größer (und wichtiger) zu sein als die anderen. Ein Inspektor ist ein beamteter Schnüffler, einer, der sich in das Leben anderer Menschen einmischt und unter dem Teppich nachschaut, was sich darunter so zusammengesammelt hat. Die Fernsehserie Kottan ermittelt hatte seinerzeit in dem Satz "Inschpekta gibt's kan" einen ihrer besten Running Gags. Der Wiener Polizeimajor Adolf Kottan wies damit regelmäßig die Zumutung einer Rolle zurück, die von den Wienern und Wienerinnen an die Polizei herangetragen wurde: dass da einer kam von der Autorität, um ihr Leben in Augenschein zu nehmen. Für einen Inspektor öffnen sich die Türen und Herzen, für einen Major, zumal wenn er vor allem innere Größe hat und nach außen grantig wirkt, nicht im selben Maße.

Dass Kottan kein Inspektor sein wollte, hatte also einen antiautoritären Zug, einen Hang ins Laissez-faire, der gut in die Zeit passte, in der diese Serie von Fernsehkrimis ihren Triumphzug startete: Von 1976 bis 1983 war Österreich ein Land, in dem die Liberalisierungen von oben kamen. Kottan bildete in dieser gesellschaftlichen Bewegung so etwas wie eine Pufferzone zwischen dem manchmal sehr didaktisch daherkommenden Staatsfunk und einer populären Kultur, die sich ungeniert als verspätet zu erkennen gab. "I'm just a lonely boy", sang Adolf Kottan gern, während in anderen europäischen Ländern die ersten Punks sich einen Irokesen scheren ließen.

Der Gesetzeshüter als einsamer Junge, das war zugleich ein klassischer Topos, denn es gehört irgendwie zu den Männern (und inzwischen zunehmend auch Frauen), die Mordfälle lösen, dass sie ein wenig außerhalb der Gesellschaft stehen. Bei Kottan hatte diese Sache aber noch einen ganz anderen, einen familiären Beigeschmack, denn er war auch bei sich daheim ein wenig ein Außenseiter: Neben seiner Frau Ilse und später seiner Mutter hatte er wenig zu bestellen, die Krimihoheit hatten daheim eindeutig die Frauen, der Major hatte es mit einem Matriarchat des "Whodunit" zu tun. Unter diesem Hausschuh lebte er gleichwohl seine Fantasien aus, zum Beispiel mit der Kapelle, mit der er musikalisch tätig war - Kottans Kapelle, eine veritable Antielitetruppe der Wiener Polizei, die zwar den Stehbass und das Schlagzeugbeserl zu bedienen wusste, bei ihrer eigentlichen Tätigkeit aber standen einander Kottans Mannen meistens auf den Füßen. Der Assistent Schrammel, ein Don Quijote des Polizeilichen, verwechselte ständig Fiktion mit einer Realität, in der es nun einmal keinen Mike Hammer gab. Der Kollege Schremser machte aus seiner Behinderung (ihm fehlte ein Bein) immer wieder einen Vorteil, indem er die Krücke als Waffe nutzte, und der Polizeipräsident Pilch trug passioniert das Los so vieler Vorgesetzter - hoffnungslos lächerlich zu sein, und zwar nicht nur vor dem immer rabiaten Kaffeeautomaten.

Dass die Kolleginnen und Kollegen, die in der Wirklichkeit auf den Straßen von Wien für Recht und Ordnung sorgen, sich in der Serie Kottan nicht besonders gut repräsentiert fühlten, tat deren Erfolg zum Glück keinen Abbruch. Nach einem Hörspiel, mit dem Helmut Zenker die Figur etabliert hatte, ging 1976 mit der Folge Hartlgasse 16a die erste Fernsehfolge auf Sendung. Das Wien, das hier zu sehen war, war nicht dazu angetan, eine Nation stolz auf sich selbst zu machen - aber der Geist der Zeit ging eben dahin, sich auch unangenehmeren Wahrheiten zu stellen. Und irgendwie sorgte Kottan ja am Ende doch für Klärung, für Sitte und Anstand, und sogar Schrammel konnte gelegentlich einen Fall aufklären.

Eine österreichische Existenz

Das Kriminelle war bei Kottan sowieso immer nur der Vorwand für eine sehr österreichische Existenzbetrachtung, die ihren Anker in jenem Fernsehgerät hatte, aus dem der ORF damals noch exklusiv sein Programm versendete. In der surrealen Welt der Kottan-Folgen verwies Chris Lohner immer wieder auf Weltereignisse, die Wien aus allen Fugen rissen, und der Möglichkeitssinn, auf den laut Robert Musil das Österreichische nun einmal zutiefst gegründet ist, feierte fröhliche Urständ.

Es wäre tatsächlich viel zu niedrig gehängt, Kottan ermittelt einfach als eine Krimisatire zu sehen - und immer wiederzusehen. Es ging darin, mit insgesamt drei Hauptdarstellern (Peter Vogel, Franz Buchrieser und Lukas Resetarits), um die Auslotung jener anderen Grenzen, von denen das Gesetz schon nichts mehr weiß: die Konventionen und den Sinn zum Explodieren zu bringen, und zwar so, dass die Welt danach immer noch steht. "We will rock you", singt Kottans Kapelle in einer berühmten Szene, und sie legt dabei das Tempo der Lamourhatscher an den Tag, auf die sie eigentlich spezialisiert war. Im November 1976 erschien in England eine Single, die England zu einer Zone der Anarchie erklärte. Österreich war sogar ein paar Monate früher dran: Mit Kottan wurde in diesem Land die Anarchie ausgerufen, und kein Inspektor kann sie wieder abschaffen. (Bert Rebhandl, DER STANDARD; Printausgabe/Rondo, 26.11.2010)