Mode, anders gesehen: ein Kleid von Comme des Garçons

Foto: Hersteller

Kleid von Victor & Rolf, illustriert von François Berthoud.

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Entwurf von Armani, gezeichnet von Mats Gustafson.

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Es gibt wenige Kunstformen, die dermaßen aus der Zeit gefallen zu sein scheinen: Modeillustrationen dienten in erster Linie dazu, Lesern und Kunden eine Vorstellung davon zu liefern, wie ein Kleidungsstück am Körper wirkte - zu einer Zeit, als es die Fotografie noch nicht gab bzw. ihre Möglichkeiten noch beschränkt waren. Die Aufgabe des Illustrators bestand darin, einerseits die Details und die Farbspiele eines Kleides wiederzugeben, andererseits eine Stimmung zu evozieren. Heute würde man sagen: ein Image herzustellen. Meister ihres Fachs wie die Art-déco-Illustratoren Erté oder Georges Lepape begleiteten zu Anfang des vergangenen Jahrhunderts nicht nur die Revolution in der Mode, ihre mit kühlem Pinselstrich oder markanter Feder gezeichneten Modebilder erschufen das Bild einer Frau, die mit ihrem Korsett auch die Zwänge der alten Zeit abgelegt hat. Gute Modeillustrationen zeigten immer mehr als bloße Mode.

Heute würde man dieselbe Behauptung bezüglich Modefotografie aufstellen. Auch sie hat sich zu einer Kunstform entwickelt, die gleichermaßen Auskunft über die Mode wie über die jeweilige Gegenwart gibt. Wobei die Möglichkeiten der Fotografen von heute jene der Illustratoren bei weitem übertreffen - man denke nur an die digitalen Raffinessen von Nick Knight oder die Bilderbuchgeschichten von Steven Meisel.

Zumindest ist das die allgemein geläufige Ansicht. Im Londoner Design Museum hat man jetzt Gelegenheit, sie etwas zu differenzieren. Unter dem Titel Drawing Fashion sind hier Illustrationen aus der Sammlung der Münchner Galeristin Joëlle Chariau zu sehen, die seit 1982 daran arbeitet, Modeillustrationen ihren Platz in der Kunstgeschichte zuzuweisen. Dass dies absolut gerechtfertigt ist, zeigt zum Beispiel das Werk des Kolumbianers Antonio. Er gilt als der wichtigste Illustrator der Nachkriegszeit. Seine Illustrationen bestechen weniger durch einen unmittelbar erkennbaren Stil als durch das Andocken an den Zeitgeist, im Besonderen an diverse Kunstströmungen. Er zitiert Pop-Art oder den Konstruktivismus mit der gleichen Selbstverständlichkeit, wie es die Modemacher tun. Zitate sind die wichtigsten Ausdrucksmedien in der Mode der vergangenen Jahrzehnte. Das ist auch in der Modeillustration so.

Werke ihrer Schöpfer

Umso erstaunlicher ist der vollkommen eigenständige Stil der Illustratoren, die die heutige Szene prägen. Sie haben sich von den Bebilderungszwängen der Vergangenheit befreit und präsentieren eine der Fotografie absolut ebenbürtige Ausdrucksform. Bilder des Schweden Mats Gustafson oder des Schweizer François Berthoud sind auf den ersten Blick als die Werke ihrer Schöpfer erkennbar. Während Gustafsons Werk durch zarte, schemenhafte Kolorationen besticht, zeichnet sich Berthoud durch wechselnde Materialtechniken aus, die emblematische Kreationen wie Balenciagas Blumengewänder von 2006 oder Victor & Rolfs Schwarze Engel von 2001 sofort erkennbar machen.

Berthoud nimmt den mit Begehrlichkeiten aufgeladenen Gewändern allerdings jeglichen Glamour, er taucht sie in ein Zwielicht, das der Mode normalerweise fremd ist. Gemeinsam mit Aurore de La Morinerie (eine der wenigen Frauen in diesem Genre!), die einen von den Grafiken der 20er-Jahren inspirierten Stil pflegt, sind seine Werke der Höhepunkt in einer Ausstellung, die ein neues, aufmunterndes Licht auf eine schon abgeschriebene Kunstform lenkt. Höchste Empfehlung! (Stephan Hilpold/Der Standard/rondo/19/11/2010)