Alberto Bertone ist größter Mineralwasserabfüller Italiens.

Foto: Hersteller

Sein Sant'Anna wird in Flaschen gefüllt, die danach im Kompost landen.

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Wer vor 1980 geboren ist, der wird sich vielleicht noch an Zeiten erinnern, als es in Österreich kein Wasser aus Plastikflaschen gab, in denen Wasser ohne Kohlensäure so gut wie ausschließlich aus dem Wasserhahn kam. Zu dieser Zeit war es auch in den Vereinigten Staaten (jetzt einer der Hauptmärkte für "bottled water") noch absolut unüblich, stilles Wasser in Flaschen zu kaufen. Das war bei uns wie in den USA nur von Frankreich- oder Italien-Reisen bekannt, was prompt zu hartnäckigen Gerüchten führte, dass das Wasser aus der Leitung in diesen Ländern gesundheitsschädlich sei - damals offenbar der einzig plausible Grund dafür, dass die armen Menschen dort ihr wohlverdientes Geld für Wasserflaschen ausgeben mussten.

Diese Zeiten sind lang vorbei: Abgefülltes Wasser ist inzwischen einer der am stärksten wachsenden Geschäftszweige der Lebensmittelindustrie weltweit - in Österreich genauso wie in Amerika. Dabei erscheint es doch einigermaßen seltsam, dass es noch keine einzige Studie gibt, welche die gesundheitlichen Vorteile des (um ein Zigfaches teureren) Flaschenwassers bestätigen konnte - im Gegenteil: In den reichen Ländern dieser Welt wird Leitungswasser gemeinhin viel strikteren Kontrollen unterzogen als abgefülltes. Außerdem gibt es mittlerweile auch Bedenken über die Auswirkungen, die der Kontakt mit Plastik und seinen oft problematischen Inhaltsstoffen auf jenes Element hat, das am Beginn allen Lebens steht. Dass es sich bei dem Produkt in Flaschen oftmals nur um abgefülltes Wasser aus der Leitung handelt, rundet das seltsame Bild zusätzlich ab.

Energieverwertung oder Faserherstellung

Nun steht es natürlich jedem frei, sein Geld auf diese Art zu versenken - wären da nicht die enormen Umweltprobleme, die der Konsum von Plastikflaschen nach sich zieht. Zwar wird die Industrie nicht müde, zu betonen, dass das am häufigsten verwendete Material mit dem schönen Namen Polyethylenterephtalat und dem noch schöneren Kürzel PET (pet=englisch für Haustier) leicht zu recyceln ist - übersieht dabei aber gerne, dass der Anteil an wieder zu PET-Flaschen geformten Müllflaschen sogar in einem recyclingfreudigen Land wie Österreich laut Umweltberatung nur dreißig Prozent beträgt. Der Rest wird zur Energieverwertung verbrannt oder zur Faserherstellung genutzt. Dazu kommt, dass die Produktion von Plastik natürlich auf Erdöl beruht und CO2 ausstößt.

Allein in Italien, jenem Land, das in Europa die Liste der Flaschenwassertrinker anführt, werden jährlich 12,4 Milliarden Flaschen hergestellt, wofür 655.000 Tonnen Erdöl verbraucht und 910.000 Tonnen CO2 ausgestoßen werden. Das amerikanische Pacific Institute hat errechnet, dass zusätzlich zu den 2,4 Millionen Erdöl (exklusive Transport), die dort für die Herstellung der Flaschen herhalten, 2,5 Millionen Tonnen CO2 anfallen und dass tatsächlich drei Liter Wasser pro Liter Flaschenwasser verbraucht werden.

Ausgerechnet aus Italien kommt jetzt vielleicht Hoffnung: Sant'Anna, der größte Wasserabfüller des Landes, hat eine Flasche entwickelt, die aus pflanzlichem Kunststoff besteht und, so die Hersteller, einfach mit dem Biomüll entsorgt werden kann. "Die neue Flasche richtet sich an zwei Sorten von Konsumenten", sagt Alberto Bertone, Direktor von Sant'Anna, "einerseits an jene, die auf den gesundheitlichen Aspekt achten und nicht wollen, dass ihr Wasser mit einem Material in Berührung kommt, das aus Erdöl erzeugt wurde, und andererseits an solche, denen die Umwelt am Herzen liegt." Die zweitgenannte Gruppe ist laut Bertone in Italien weit weniger stark vertreten als in Ländern wie Österreich oder Deutschland. Darum sei es in seiner Heimat auch relativ schwer, mit seinem Produkt in die großen Handelshäuser zu kommen, da diese vor allem ihre Absatzzahlen im Sinn hätten.

Kunststoff aus Zucker und Stärke

Neu ist er nicht, der Polylactid (PLA) genannte Kunststoff; nur wurden bisher daraus keine Flaschen erzeugt. 1932 vom amerikanischen Chemiekonzern DuPont - dem Erfinder von Nylon - entdeckt, diente er bisher hauptsächlich zur Herstellung von Plastikbeuteln, Folien und Wegwerftellern. "Vereinfacht gesprochen, ist die Flasche ein Produkt der Fermentation von Zucker und Stärke durch Milchsäurebakterien. Sie kann kompostiert und als Dünger wiederverwertet werden", sagt Bertone, der vor sechs Jahren mit der Idee nach Amerika reiste, das Material für Flaschen zu nutzen. "Es bedurfte einer vollkommen neuen Technologie; denn für Teller und Folien muss man Polylactid pressen - für die Flaschen aber bedarf es einer Spritztechnik."

Der CO2-Ausstoß der Flaschen ist laut Bertone gleich null, Erdöl enthalten sie überhaupt nicht - und weniger Energie bei der Herstellung brauchen sie obendrein. "Das Material ist viel flüssiger als Erdöl, sein Schmelzpunkt liegt bei nur 70-80 Grad Celsius, während jener von Plastik bei 130-180 Grad liegt", so Bertone. Und weiter: "Das Schöne an dem Material ist, dass es in Zukunft chemisch recycelt werden kann. Das hätte heute noch keinen Sinn, weil es zu wenig davon gibt. In einer zweiten Phase wird aber ein elektrolytisches System das mechanische Recycling ersetzen, wodurch man aus den weggeworfenen Flaschen wieder PLA wird machen können."

Einstweilen noch teurer als PET

Echte Probleme gebe es eigentlich nur mit dem Vertrieb. "Wie bei jeder neuen Technologie sind die Produktionskosten noch relativ hoch. Was wir brauchen, ist eine Unterstützung vom Staat oder von der EU - entweder durch Reduktion der Mehrwertsteuer oder in Form einer Ökosteuer, die jenen Firmen, die Plastik verwenden, auferlegt wird und an solche, die mit pflanzlichem Kunststoff arbeiten, ausbezahlt wird", sagt Bertone. Letzteres träfe seine eigene Firma sowieso am meisten, sei doch Sant'Anna der größte Erzeuger von PET-Flaschen in Italien. "Aller Anfang ist schwer. Doch wir glauben an die Zukunft des Materials und arbeiten akribisch daran, die EU, die Regierung und unsere Mitbewerber zu überzeugen", sagt Bertone.

Natürlich gibt es nicht unwesentliche Kinderkrankheiten: So wird etwa der Schraubverschluss nach wie vor aus PET hergestellt und bedarf einer getrennten Entsorgung. Dass das Material für die Flaschen aus Amerika importiert werden muss, belastet die Umwelt. Beides würde sich aber schon in den nächsten Monaten ändern, erklärt Bertone.

Zwei Aspekte sollten trotz aller Hoffnung, die in die neue Technologie gesetzt wird, nicht vergessen werden. Erstens: dass bedenkenlos trinkbares Leitungswasser zu den großen Errungenschaften unserer Zivilisation gehört. Und zweitens: dass man, wenn es nach den Vereinten Nationen ginge, diesen Luxus ganz locker der gesamten Weltbevölkerung ermöglichen könnte - würde nur ein Bruchteil jenes Geldes, das weltweit jährlich für abgefülltes Wasser ausgegeben wird, dafür investiert. (Georg Desrues/Der Standard/rondo/08/10/2010)