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In Wohnräumen schätzt man derlei nicht so sehr. Aber es gibt ja auch noch Werkstätten.

Foto: APA/dpa/dpaweb/Roland Weihrauch

Was meine Gefühlslage Eisblumen gegenüber anlangt, bin ich sowohl erblich vorbelastet als auch gesellschaftlich frühsozial geprägt. Das hängt jedoch nicht mit poesiefördernder frühkindlicher Erziehung zusammen, sondern vielmehr mit den innerfamiliären, zumalen vom Großvater gepflogenen Schnapsbrenngewohnheiten.

Das Destillieren fragwürdiger Substanzen in erheblichen Mengen und ganz sicher ohne Inkenntnissetzung irgendwelcher Behörden erfolgte stets an kalten Morgen des frühen Winters. Auch waren immer mehrere Verbündete anwesend, um verkostend jederzeit beratend beizustehen.

Wenn es draußen eisig genug war und die - selbstverständlich selbst zusammengeschweißte - Destille, in welchselbiger eine Motorradkette das Anbrennen der Maische verhinderte, worauf alljährlich listig hingewiesen wurde, wenn also diese Destille drinnen ordentlich dampfte, kristallisierten an den Werkstattfenstern die schönsten und unterschiedlichsten Eisblumen wie im Zeitraffer. Das geschah in einer Geschwindigkeit, dass man dabei fasziniert zuschauen konnte. Meine affirmative Eisblumengefühlslage setzt sich also aus verklärenden Erinnerungen und Reminiszenzen an die damals allseits relativ rasch fröhlich-beschwingten Stimmungslagen der Schnapsbrenner zusammen.

Die gute alte Zeit

Andere Eisblumen haften weniger fest an den Memoiren, wie zum Beispiel diejenigen, die sich am Klofenster zu bilden pflegten. Von den prächtigen kräftigeren und gröberen Kristallen in der dazugehörigen Klomuschel ganz zu schweigen, denn der Rest lässt sich recht gut ohne weiterführende Kommentare meinerseits vorstellen.

Die gute alte Zeit - in der Tat ist sie in mancher Hinsicht zu Recht vorbei.

In der neuen Zeit der wohlig gedämmten Eigenheime und der dreifachverglasten Superfenster haben Eisblumen freilich auskristallisiert. Das ist in fast jeder Hinsicht ein großer Fortschritt. In ökologischer natürlich und in raumklimatischer.

Denn um Eisblumen zu züchten, bedarf es gleich mehrerer, von Bauphysikern grundsätzlich als verabscheuungswürdig klassifizierter Zutaten.

Wir wiederholen: Drinnen muss es warm sein. Draußen braucht man Temperaturen unter - no na - null. Je kälter, desto besser.

Moderne Bau-Menschen

Dazwischen befindet sich etwas, das sich moderne Bau-Menschen nicht mehr vorstellen können, nämlich eine einfache Fensterscheibe.

Des Weiteren benötigt man innen ein Raumklima, das möglichst feucht-dampfig ist, also auf ungelüftete, keinesfalls von modernen Raumluftumwälzmaschinen filtrierte und perfektionierte Räume hindeutet.

Und: Die einfachverglasten Fenster sollten nicht unbedingt die säuberlichsten sein. Warum? Damit die Dreckpartikel auf den Scheiben als Kristallisationspunkte für dünne Eisschichten herhalten können.

Wenn all diese Bedingungen gegeben sind, sollten Sie erstens sofort bei der Landesregierung um Sanierungsförderung ansuchen, doch zweitens steht der Eisblumenzucht nichts mehr im Weg.

Wie gesagt - in Wohnräumen schätzt man derlei nicht so sehr. Aber es gibt ja auch noch Werkstätten. Oder - gibt es noch ordentliche Werkstätten? Wer plant sein supergedämmtes Haus heutzutage inklusive Werkstätte. Garagen und so, das ja. Darauf vergisst keiner so schnell. Aber Werkstätten? Wo soll ich zum Beispiel nächstes Jahr meinen Schnaps brennen? Einfachverglasung muss her. (Ute Woltron/Der Standard/rondo/05/02/2010)