Auch wenn es oft nur Zentimeter sind, über Gold freut sich nur einer. Zu sehen ist die neue Startpistole von Omega.

Foto: Hersteller

Christophe Berthaud, General Manager von Swiss Timing und Omega SA Olympic Manager.

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DER STANDARD: Wenn Sie ein Vier-Minuten-Ei kochen, haben Sie die Zeit eher im Gefühl als andere Zeitgenossen, oder müssen Sie auch auf die Uhr schauen?

Christophe Berthaud: Ich glaube nicht, dass ich darin besser bin, aber ich rede nicht so gerne über mich. Lassen Sie uns lieber über die Spiele reden.

DER STANDARD: Okay, was hat es mit der neuen Startpistole auf sich, die aussieht wie aus einem Science-Fiction-Film? Warum hat der gute alte Schreckschussrevolver ausgedient?

Berthaud: Es ist nicht leicht, mit einer normalen Pistole, wie sie ja früher verwendet wurde, durch einen Security-check am Flughafen zu kommen.

DER STANDARD: Das war im Ernst ein Problem bei der Organisation?

Berthaud: Aber natürlich! Stellen Sie sich vor, Sie haben eine Pistole bei sich und erklären dem Typen von der Security: "Ach, ich bin doch nur der Zeitmesser der Eisschnellläufer bei den Olympischen Spielen." Viel Spaß! Das neue elektronische System hat im Prinzip dieselben Funktionen. Es gibt ein Blitzlicht, das dem Licht beim Abschuss einer Pistole gleichkommt, es gibt verschiedene Sounds für verschiedene Bewerbe. Auch der Abzug funktioniert so präzise wie bei einem Revolver. Die Startpistole löst die Zeitmessung aus, das war auch bei den alten Pistolen so.

DER STANDARD: Was ist für jemanden, der die Zeit nimmt, die größte Sorge bei einem Event wie den Olympischen Spielen?

Berthaud: Zeitnehmung hat mit Menschen und Technologie zu tun. Wenn ein Fehler passiert, ist eins von beiden Schuld. Also: Teams und Equipment müssen in einem Topzustand sein. Aber passieren kann natürlich immer etwas.

DER STANDARD: Zum Beispiel?

Berthaud: Ein andauernder Stromausfall. Wir haben zwar Generatoren, aber so etwas würde ja nicht nur uns betreffen.

DER STANDARD: Erzählen Sie uns von einem wirklich schlechten Tag für die Zeitnehmung.

Berthaud: Das war während der Olympischen Sommerspiele von 1960 in Rom, bei denen noch das menschliche Auge zur Entscheidungsfindung diente. Ein sehr umstrittenes Ergebnis bei einem Schwimmbewerb war Auslöser für eine große Innovation im Schwimmbecken: automatische Anschlagmatten. Das heißt, der Athlet selbst misst die Zeit. Sie sehen, umso weniger menschliche Intervention es bei bestimmten Sportarten gibt, desto besser.

DER STANDARD: Wie denken Sie über Ex-aequo-Ergebnisse bei alpinen Bewerben? Offiziell wird nur auf Hundertstel gemessen. Aber Sie wissen doch bestimmt auch die Tausendstel-Zeit, oder?

Berthaud: Wir müssen zwischen der Technologie und den Regeln des Veranstalters unterscheiden, und die beschränken sich nun einmal auf Hundertstel. Ja, wir messen Tausendstel, und natürlich würden Journalisten gern wissen, wer um diese Tausendstel schneller war. Aber das ist topsecret.

DER STANDARD: Oft sind Skirennläufer nur durch wenige Hundertstel getrennt. Dennoch gibt es sehr oft das Beispiel von Siegesserien. Denken Sie über solche Dinge nach?

Berthaud: Sie sollten doch glücklich sein, wenn die Österreicher öfter gewinnen. Nein, im Ernst. Solche Phänomene haben mit unserer Arbeit nichts zu tun. Unser Job ist es ja gerade, diese minimalen Unterschiede möglichst exakt zu messen. Wenn man die nicht so genau messen könnte, wäre es auch schwieriger, überhaupt einen Sieger zu ermitteln. Ihr Auge kann eine Zehntelsekunde nicht wahrnehmen. Manche glauben das noch immer nicht, speziell bei Schwimmbewerben. Jean-Claude Killy wurde auch deshalb zu einer Legende, weil er ein wichtiges Rennen mit einem Vorsprung von 20 Zentimetern gewann. Als Zeitnehmer muss es uns außerdem sowieso egal sein, wer gewinnt. Es muss immer der Beste sein. Wir sind nicht da, um Athleten zu unterstützen. Darum wird uns auch vertraut.

DER STANDARD: Beim Marathonbewerb in Bejing 2008 hatten die Läufer elektronische Chips in ihren Schuhbändern. Wozu?

Berthaud: Diese Chips sandten Signale an Antennen, die wir alle fünf Kilometer aufgestellt hatten. Das half uns, Zwischenzeiten zu messen und Zwischenrankings rauszugeben.

DER STANDARD: Ist das auch für Skibewerbe denkbar?

Berthaud: Wir werden das in Vancouver bei den Snowboardbewerben einsetzen.

DER STANDARD: Welcher Winterbewerb ist am schwierigsten zu messen?

Berthaud: Eisschnelllauf ist eine heikle Sache. Da gibt es verschiedene Bewerbe, die schnell aufeinander folgen, es geht um Tausendstel, und die Athleten sind oft sehr dicht beieinander. Biathlon ist auch so eine Sache. Da geht es um Zeit, Punkte, Strafsekunden, und das alles muss live rübergebracht werden.

DER STANDARD: Omega misst die Zeit bei Olympischen Spielen seit 1932. Gab es dazwischen auch andere Unternehmen?

Berthaud: Aber ja, in Lillehammer oder Barcelona zum Beispiel. Dazu würde ich gern eine kleine Geschichte erzählen: Bei den Olympischen Spielen 1896 hatte jeder Schiedsrichter seine eigene Stoppuhr. Da kamen also zu den unterschiedlichen Reaktionszeiten der Schiedsrichter auch noch unterschiedlich arbeitende Chronographen hinzu. Deshalb beschloss man 1932 in Los Angeles, die gleichen Uhren für alle Schiedsrichter einzusetzen. Einige Hersteller wurden getestet, die Omega bekam den Zuschlag und wurde so zum ersten offiziellen Zeitnehmer.

DER STANDARD: Was glauben Sie, wie lange haben wir jetzt miteinander gesprochen?

Berthaud: 22 Minuten.

DER STANDARD: Sie haben auf die Uhr geschaut?

Berthaud: Natürlich!
(Michael Hausenblas/Der Standard/rondo/05/02/2010)