+++Pro
Von Thomas Rottenberg
Wo Respektspersonen fehlen, sehnt sich der kleine Mann nach Leitlinien. Fehlen auch die, ruft er nach dem starken Mann. Oder dessen öligem Zahntechniker. Dabei wäre es so einfach, all die fehlenden Schaffner, Hausbesorger, Oberkellner, Schulwarte oder Rayoninspektoren zu ersetzen: Die Badehaubenpflicht ist nämlich die Fortsetzung der "broken window"-Theorie. Das erklärte mir der Bademeister eines Hotels in Peking, als er mich – so hauben- wie frisurlos – dort einst aus dem Wasser stamperte. Ja, er sähe meinen kahlen Kopf. Doch: Nein, ohne Kopfkondom käme ich nur über seine Leiche zurück ins Wasser. Denn eine Gesellschaft mit laschen Regeln werde weich. Sei dekadent. Versänke in Hedonismus, Amoral und Chaos. Bei ihm schwämme man behaubt. Punkt. Und in ganz China gälten Gesetze, Regeln und Vorschriften für alle. Nur darum funktionierten Staat, Gesellschaft und Familie. Ob das im Westen auch so sei, fragte er – und grinst. Ich setzte die Haube auf. Chinesen haben kaum Brusthaare. Aber darum ging es ja nicht.
Contra---
Von Karl Fluch
Als renitente Krätzn (Zitat: die Hersteller, sämtliche Lehrkörper und Lehrkörperinnen, Arbeitgeber, Freunde, Feinde, Nachbarn und andere Bekannte, die allesamt ihren Beitrag zu diesem Wesenszug geleistet haben) tu ich mir mit dem Wort Pflicht immer schwer, wenn diese nicht elementar und/oder biologisch vorgegeben ist (Hunger, Durst, Schmusen, Sterben ...). Je unnötiger eine erdachte Pflicht, desto lustvoller mein Widerstand. Siehe: Wehrpflicht, allgemeine. Aber auch kleinere Blödheiten wie die hier zur Diskussion gebrachte Badehaubenpflicht verlangen nach Gegnerschaft. Zumal ich zum Beispiel über gut zwei Jahrzehnte einen Haarschnitt trug, der weniger voluminös war als so mancher nichtfassonierte Achselhaarbusch, der ungestraft vom Chlorwasser gebleicht werden durfte. Von wuchernden Rücken- oder Brustbehaarungen ganz zu schweigen. Einem Stoppelglatzenträger ein Badehauberl aufzunötigen verlangte nach Subversion. Donovans Mellow Yellow auf den blauen Lippen, kolorierte ich deshalb meine letzte gezogene Länge wie ein Kunstflieger.
(Der Standard/rondo/22/01/2010)