Mike Glauser aus Bern ist der junge Mann, der die Ehre des Schweizer Käses aus Kleinproduktion hochhält.

Foto: Georg Desrues
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Die Belper Knolle ist eine jener neuen Kreationen, mit denen er für Furore sorgt.

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Die Schweiz und der Käse: Das klingt wie Österreich und die Mozartkugel - ist aber deutlich mehr als nur ein Klischee. Um zu verstehen, was Käse für die Schweiz bedeutet, muss man sich erst einmal verdeutlichen, dass auf 80 Prozent des Kulturlands bei unserem Nachbarn kein Ackerbau möglich ist; die Schweiz ist also ein Grasland und die Tierhaltung somit die effektivste Methode, dem Boden überhaupt Nahrung abzugewinnen.

So ist es auch kein Wunder, dass alles, was mit Land- und Milchwirtschaft zu tun hat, in der Schweiz noch mehr als anderswo eng mit Politik verbunden ist. "Bis 1998 hatten wir hier Planwirtschaft", erzählt der junge Käsehändler Mike Glauser. "Die Milch der Bauern war kontingentiert und musste an die örtlichen Käsereien abgeliefert werden, die daraus jene Käse produzierten, die vom Staat als ,wertschöpfend' bezeichnet wurden - wie Emmentaler, Appenzeller und so."

Das sicherte zwar einerseits ein gewisses Mindestmaß an Qualität, wie es etwa die österreichische Molkereiwirtschaft trotz ähnlichen Ausgangsprodukts über viele Jahrzehnte nicht annähernd zusammenbrachte - es beschränkte die Kreativität und den Unternehmergeist der Käser aber massiv. Dass diese Politik dennoch nicht nur negativ war, gesteht auch Glauser ein: "Die Bauern erhielten zwar einen anständigen Preis - die Eigeninitiative und viele alte Rezepturen blieben dabei allerdings auf der Strecke." Oft sei es nämlich schlicht rentabler gewesen, die Milch einfach abzuliefern, als sie selbst zu verkäsen.

Milchwirtschaft liberalisiert

"Die Agrarreform von 1998 hat einiges bewegt", freut sich Glauser. Die Milchwirtschaft wurde stufenweise liberalisiert, und heute dürfen die Bauern ihre Produkte wieder selbst vermarkten.

Das bewegte Glauser - dessen Familie sich seit Generationen der Käsefabrikation widmet - gemeinsam mit dem Landwirt Jürgen Wyss, 2005 die Firma "Jumi" zu gründen. Jumi steht heute für ein wahres Schlaraffenland handwerklich hergestellter Käsekunstwerke.

"Wir vertreiben fast ausschließlich Rohmilchkäse, der von kleinen Betrieben hergestellt wird." Die Dynamik der beiden ist beeindruckend: Bis zu achtzig handwerklich hergestellte Käsesorten von Klein- und Kleinstproduzenten führen sie im Sortiment. "Von den großen Handelsketten halten wir uns, so gut es geht, fern", beschreibt Glauser das Konzept der Firma. "Die neigen zur Standardisierung und können oft nicht akzeptieren, dass es gewisse Produkte nur saisonal und in kleinen Mengen gibt."

Also verkauft man am liebsten direkt und auf den verschiedenen Bauernmärkten im Kanton Bern - der Heimat der beiden. Dort stehen junge, motivierte Mitarbeiter und preisen hocharomatische Sorten an, von denen selbst die käsekundigen Berner noch nie etwas gehört haben.

"Blaues Hirni" heißt zum Beispiel eine Kreation, ein kleiner Gupf, dessen Name sich durch die runzelige, blau beschimmelte Oberfläche erklärt. Eine andere - "Dr. 13" (nicht etwa gut österreichisch "Doktor 13", sondern ordentlich Schwyzerdütsch: "drr drizäht" gesprochen) ist ein Schafmilchkäse, der wie vor langer Zeit von Milben (!) vergoren wird und nach 13 Monaten Reifung auf den Markt kommt. Jumis absoluter Star ist aber die "Belper Knolle". Von Glausers Onkel entwickelt, handelt es sich dabei um einen gewürzten und getrockneten Frischkäse, der mittels einer Art Trüffelhobel über Pasta, Risotti und was einem sonst noch einfällt, gerieben werden kann.

Fein nussiges Aroma

Der einzige weithin bekannte Käse im Sortiment ist der Emmentaler. Jener der Jumis hat allerdings durch zweijährige, liebevolle Lagerung eine dunkelbraune Rinde und ein fein nussiges Aroma - an die stets etwas gummige Ware, die man auch in bestsortierten Käsegeschäften als "original Schweizer Emmentaler" bekommt, erinnert da rein gar nichts mehr.

Käsekreationen, die mit Kakao, Algen und dergleichen eingewickelt werden, kommen für Glauser weniger infrage: "Mit Adjektiven wie neu oder innovativ gehe ich sehr vorsichtig um. In Wirklichkeit hat es alles, was wir machen, schon irgendwo und irgendwann gegeben. Neu ist lediglich der Blickwinkel darauf", erklärt er.

"Man darf sich nichts vormachen: Natürlich verkaufen sich unsere Käse nicht von selbst", so Glauser weiter, "man muss auf die Leute zugehen, sie kosten lassen und ihnen begreiflich machen, dass hinter jedem Käse ein Mensch steht - mit seinem Know-how, seinen Tieren und seinem Land."

Viele von Jumis Käsen sind seit einiger Zeit auch in Wien erhältlich. Das ist dem gebürtigen Vorarlberger Stephan Gruber zu verdanken, der als Physiker am AKH forscht, als Vorarlberger aber nicht auf jene Geschmäcker verzichten wollte, die er als leidenschaftlicher Käsefreund von seiner Heimat kennt. Jeden Samstag steht er deshalb mit ausgesucht köstlichem, ausnahmslos aus Kleinproduktion stammendem Spitzenkäse auf dem Naschmarkt, während seine Frau mit derselben Ware den Karmelitermarkt bedient. Gruber - ein leidenschaftlicher Kenner auch der österreichischen Käsekultur - spricht voller Bewunderung von der Experimentierfreude der Schweizer: "Die trauen sich einfach sehr viel - so weit sind wir hier noch nicht."

Von der allerorten grassierenden Biowelle halten weder Gruber noch die Burschen von Jumi allzu viel. "In dem Moment, in dem "bio" zur Marke wird, steht nicht mehr der Mensch, sondern der Kapitalgedanke im Mittelpunkt", sagt Glauser. "Für uns ist es ganz selbstverständlich, dass wir nur mit Bauern arbeiten, die nicht mehr Tiere halten, als für ihr Land und die Tiere selbst gut ist. Und die keine Silomilch, sondern frischeste, möglichst wenig gekühlte Rohmilch aus Weidehaltung verwenden." Genau diese Betriebe seien aber auch oft zu klein, um ein offizielles Biolabel zu erhalten.

Für die Einzigartigkeit der Jumi-Käse sind solche Kriterien unerlässlich. Glauser: "Es wäre alles andere als wirtschaftlich schlau, würde ein kleiner Käsemacher versuchen, etwas zu machen, das die Großproduzenten auch können." (Georg Desrues/Der Standard/rondo/11/12/2009)