Bild nicht mehr verfügbar.

Die amerikanische Fotografin Annie Leibovitz am 20. Februar 2009 bei einer Pressekonferenz in Berlin.

Foto: AP/Michael Sohn

Bild nicht mehr verfügbar.

Topmodel Laetitia Casta, fotografiert von Annie Leibovitz 1999.

Foto: APA/EPA/Ho

Es ist eine schöne Pointe der Geschichte, dass die wohl berühmteste Fotografin der Gegenwart mit der bekanntesten Kritikerin des Mediums Fotografie liiert war. Wobei Susan Sontag der Fotografie nicht per se kritisch gegenüberstand - sie plädierte aber zeitlebens für einen bewussten Umgang mit ihr. "Eine Ökologie der Bilder" forderte sie am Ende ihrer kontroversiellen, 1977 erschienenen Aufsatzsammlung Über Fotografie.

Daran hat sich Annie Leibovitz immer gehalten. Blättert man im Vorfeld der großen, vom Kunsthaus Wien ab Ende Oktober gezeigten Leibovitz-Ausstellung A Photographer's Life 1990-2005 in den Bildbänden der amerikanischen Fotografin oder betrachtet die vielen Prominenten-Porträts, die sie als Hausfotografin von Vanity Fair geschossen hat, dann fällt der sorgfältig austarierte Energiehaushalt dieser Bilder auf. Fotos, schrieb Sontag, erzeugten Sympathie, sie zerstörten sie aber auch und hielten Emotionen auf Distanz.

Angekündigter Krieg

Leibovitz' Meisterschaft besteht darin, in einem Bild beides zu vereinen. Sie feiert ihre Protagonisten, indem sie ihnen die größte inszenatorische Aufmerksamkeit zukommen lässt. In den allermeisten Fällen sind es Menschen, über die es eine kollektive Meinung gibt, Hollywood- Diven oder Politik-Stars. Sie mietete sich in Versailles ein, um Kirsten Dunst als Marie Antoinette in bonbonfarbenes Licht zu rücken. Sie arrangierte die Sopranos wie in Leonardos Letztem Abendmahl oder stellte Ben Stiller inmitten von Models und mit einem Hirschgeweih auf die Straße. Ihre berühmtesten Bilder sind jene von der nackten und schwangeren Demi Moore und der in Milch badenden Whoopi Goldberg. Leibovitz' Farben sind genauso satt wie ihre Hollywoodstars illuster. Die Budgets, die sie verbrät (die eigenen und die fremden), sind legendär. In den vergangenen Monaten war Leibovitz denn vor allem ob ihrer unglaublichen Schulden von mehr als 20 Millionen Dollar in den Schlagzeilen.

Wer sich von Leibovitz fotografieren lässt, muss nichts befürchten. Außer er heißt zufällig George W. Bush. Das Gruppenbild, das sie von ihm und seinem Kabinett auf eigenen Wunsch hin im Dezember 2001 schoss, zeigt, wie sorgfältig sie mit ihren Sympathiebekundungen umgeht. Da steht ein Präsident mit offenem Sakko und den Händen in den Hosentaschen inmitten einer Truppe von Warlords. Nur dass Dick Cheney, Donald Rumsfeld, Condoleezza Rice und Co nicht in Uniformen, sondern in dunklen Kostümen und Anzügen stecken, als wären sie auf dem Begräbnis jener Menschen, die sie in den Folgejahren auf dem Gewissen haben werden. Im Dezember 2001 stand der Irakkrieg vor der Tür. Auf Leibovitz' Bild ist er bereits angekündigt.

Hochglanzwelt nicht in Wiege gelegt

Die Bilder von Prominenten sind die Sujets, mit denen die 1949 als drittes von sechs Kindern geborene Leibovitz Aufnahme in unser visuelles Gedächtnis fand. Der Vater war Berufsoffizier bei der amerikanischen Air Force, die Mutter Tanzlehrerin. Ihre Kindheit und Jugend verbrachte sie auf dem Weg von einem Militärstützpunkt zum anderen. Die Hochglanzwelt, die sich bis heute darum reißt, von ihr fotografiert zu werden, wurde ihr also nicht in die Wiege gelegt. Vielleicht hat Leibovitz' gefinkeltes Spiel mit Nähe und Distanz, oder anders ausgedrückt: mit Affirmation und Ironie, hier ihre Wurzeln. Es gab nämlich eine Zeit, in der ging Leibovitz ganz nah ran. Die persönliche Reportage, mit einer Kleinbildkamera in Schwarz-Weiß aufgenommen, war der Startpunkt ihrer Karriere.

Diese ist in ihren Anfangsjahren auf eine ähnliche Weise mit der Zeitschrift Rolling Stone verbunden wie in den vergangenen beiden Jahrzehnten mit Vanity Fair. Anfang der Siebzigerjahre erschien der Rolling Stone noch im DIN-A3-Format, er war ein junges, flexibles Magazin, in dem sich ein Fotograf wie Richard Avedon austoben konnte. Mit 23 Jahren wurde Leibovitz seine Cheffotografin und verbrachte die kommenden Jahre vorzugsweise auf Drogentrips und auf Konzerten. Dabei sind einige der intensivsten Aufnahmen von Mick Jagger und Keith Richards entstanden.

Der nackte John Lennon

Das berühmteste Bild von Leibovitz' erstem Jahrzehnt als Fotografin ist allerdings der nackte John Lennon, der sich an eine vollständig bekleidete Yoko Ono schmiegt. Einige Stunden nach dieser Aufnahme war Lennon tot - und der Rolling Stone mit Yoko und ihm auf dem Titelblatt verkaufte sich beinahe so gut wie zehn Jahre später die Ausgabe von Vanity Fair mit der schwangeren Demi Moore. Nur der Skandal war bei der nackigen Demi größer.

Das Gespür für den richtigen Augenblick zeichnete Leibovitz immer aus. In ihrem im vergangenen Jahr auch auf Deutsch erschienenen Buch At Work widmet sie dem Thema ein ganzes Kapitel. Über die 15 Jahre dauernde Liebesbeziehung zu Sontag, die mit dem Krebstod der Partnerin 2004 endete, sprach Leibovitz erst nach deren Tod. Im Rahmen der ursprünglich für das Brooklyn Museum in New York entstandenen und jetzt nach mehreren Etappen auch in Wien Station machenden Ausstellung und des gleichnamigen Buches veröffentlichte sie auch eine ganze Reihe an privaten Bildern: von ihrem todkranken Vater, der kurz nach Sontag starb, ihren drei Töchtern, die sie mithilfe eines Samenspenders bzw. einer Leihmutter in ihren Fünfzigern bekam, und von Susan Sontag selbst. Sie fotografierte sie am Totenbett. Das brachte ihr eine Reihe von moralischen Vorwürfen ein - vor allem von Sontags Sohn, dem Journalisten David Rieff.

In ihren privaten Bildern ist eine ganz andere Annie Leibovitz zu entdecken als auf den pompösen Hollywood-Fotos: die Reportagefotografin und weniger die Hochglanzkünstlerin. In diesem Genre liegen Leibovitz' Wurzeln, in ihm hat sie manche ihrer wichtigsten Fotos geschossen. Sie sind naturgemäß bei weitem nicht so bekannt wie ihre Bilder von Nicole Kidmann und Co. Als Sontag 1993 ins besetzte Sarajewo fuhr und dort mit lokalen Schauspielern Warten auf Godot inszenierte, folgte ihr Leibovitz in die von der Außenwelt abgeschnittene Stadt. Die dort entstandenen Fotos zeigen in tristem Schwarz-Weiß die Gräuel des Krieges - und die Hilflosigkeit der Menschen.

Zehn Jahre später hat Susan Sontag unter anderem auch diese Bilder zum Anlass genommen, noch einmal über das Genre Fotografie nachzudenken. Das Leiden anderer betrachten arbeitet sich an Kriegsfotografien ab und fragt, inwieweit Leidensbilder bloß eine voyeuristische Ader im Betrachter bedienen - und inwieweit sie notwendig seien. Manchmal, resümiert Sontag, sei eine Erzählung wirksamer als ein Bild. Sehr oft ist es aber genau umgekehrt. (Stephan Hilpold/Der Standard/rondo/23/10/2009)