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Ein Zelt aufbauen darf in Schweden jeder überall, solange er niemanden stört und nichts zerstört. Die Samen etwa leben den ganzen Sommer über in Zelten.

Grafik: DER STANDARD

Till Gottbrath schöpft mit seinem Plastikbecher einen Schluck Wasser aus dem kleinen Fluss am Wegesrand. Das Wandern auf dem Kungsleden, dem Weg der Könige, im Norden Schwedens macht durstig, und der deutsche Outdoor-Experte hat zu diesem Zweck seinen Becher mit einem Band immer griffbereit vorne am Rucksackgurt angebunden. "Das Wasser könnt ihr hier überall bedenkenlos trinken. Es gibt dauernd kleine Quellen und Bäche entlang der Strecke, wo ihr einfach nur eure Flaschen nachfüllen müsst", erklärt uns Till.

Deshalb bedarf es keiner großen Flüssigkeitsvorräte auf der Tour durch die einsame Landschaft des schwedischen Gebirges, des Fjälls. Das ist nur eine der vielen Besonderheiten des Fjällräven Classic, des alljährlichen Wanderwettbewerbs der gleichnamigen schwedischen Outdoormarke in Lappland, 250 Kilometer oberhalb des nördlichen Polarkreises. Eine weitere ist die Registrierung und Zeitnehmung der Teilnehmer bei Start und Ziel und an den einzelnen Kontrollstellen auf der 110 Kilometer langen Strecke, ein bisschen wie bei einem Marathon. Wer die Distanz in drei Tagen bewältigt, erhält im Ziel eine Goldmedaille, bei vier Tagen gibt es Silber, und für fünf gemütliche Wandertage winkt immerhin noch eine bronzene Plakette. Seit 2005 wird dieser Bergwanderlauf auf einer Teilstrecke des Kungsleden veranstaltet, beim ersten Mal noch mit 160 Teilnehmern. Mittlerweile gibt es gut zwanzigmal so viele Anfragen aus 21 Ländern. Deshalb wurde die Zahl der Wanderer auf 2000 beschränkt, mehr würde der sensiblen Natur nicht guttun, so das Argument der Organisatoren.

Auf dem Weg vom Start in Nikkaluokta bis zum Ziel in Abisko ist das Nächtigen in den Hütten für die Teilnehmer verboten. Deshalb wird ausschließlich in der Wildnis gecampt, mithilfe des Gaskochers die Tagesration an Verpflegung gekocht, und das ist für die Anfänger in unserer Gruppe nicht immer so einfach.

Im Moment geht es gerade um die Wahl des perfekten Zeltplatzes. Es ist acht Uhr am Abend, zwei Tage sind durchwandert, knapp die Hälfte der Strecke geschafft, und vor uns liegt der höchste Punkt der Tour, der Tjäktja-Pass mit 1140 Metern Seehöhe. Das Zelten ist in Schweden grundsätzlich überall erlaubt, solange man sich an die Regeln des "Allemansrätt", des schwedischen Rechts zum Gemeingebrauch der Natur hält. Nicht stören, nichts zerstören, lautet der Grundsatz.

Till findet natürlich bald den optimalen Platz, und schnell ist jeder mit dem Errichten des kleinen Zeltes beschäftigt. Manche sind dabei weniger erfolgreich, aber mit Nachbarschaftshilfe steht kurze Zeit später jede Behausung. Dann wird vor jedem Zelteingang um die Wette gekocht im leicht dämmrigen Licht des späten Abends. Ganz finster wird es hier heroben um diese Jahreszeit ja bekanntlich dank der Mitternachtssonne nicht. Die Fertiggerichte und Gaskartuschen müssen nicht geschleppt werden, in einigen Etappenstationen gibt es Nachschub.

Die knapp 30 Kilometer des letzten Tages sind lang und anstrengend, am nächsten Morgen gilt es, den Pass zu überqueren und die gleiche Etappenlänge zu bewältigen, also verschwinden bald alle in ihren kleinen Behausungen.

Das Wandern und Campen in der beeindruckenden weiten Landschaft Lapplands kann schon richtig Spaß machen, solange das Wetter hält. Jetzt am späteren Abend regnet es aber in Strömen. Solange man marschiert, tut das auch nicht allzu viel zur Sache. Die Regenpelerine hält den Menschen und der Rucksacküberzug das Material halbwegs trocken. Aber irgendwann heißt es lagern, Zelt aufbauen, und das in rasender Geschwindigkeit, damit es drinnen nicht allzu nass wird. Das Kochen und Essen in der engen Behausung gestaltet sich dann auch nicht so lustig, der Abwasch wird aus regentechnischen Gründen auf den nächsten Tag verschoben, und bald befinden sich die Wanderer, unter dem Trommeln des Regens auf die schützende Zelthaut, im Land der Träume.

Manche Eindrücke der letzten Tage kommen im Traum wieder, wie zum Beispiel der höchste Berg Schwedens, der 2114 Meter hohe Kebnekaise, und die Gletscher, die es hier schon in 1500 Meter Seehöhe gibt. Oder "Lapp Donald's", der originelle Fastfood-Stand mitten in der Wildnis, während der ersten Etappe. Die Spezialität des Hauses: Hamburger aus Rentierfleisch!

Am nächsten Tag ist das Wetter wieder schön, und während der letzten knapp 30 Kilometer bis zum Ziel in Abisko marschiert es sich vergnügt über die über den oft sumpfigen Boden verlegten Holzstege. Die Landschaft wirkt verändert, alles ist auf einmal wieder viel grüner nach der durch die Gletscher geformten, gebirgigen Kulisse der letzten Tage. Die ersten Birkenwälder stehen als Empfangskomitee beim See Abiskojaure bereit. Mit ihnen ein Wolke abertausender Stechmücken, trotzdem empfiehlt sich ein Bad in diesem mit geschätzten 20 Grad gar nicht so kalten Gewässer.

Ein paar Stunden später ist das sehnsüchtig ersehnte Ziel in Abisko erreicht. Hier herrscht richtig Feierstimmung. Hunderte Teilnehmer säumen das Zielgelände. Jede eintreffende Person wird heftig beklatscht, auf dem Pass wird die Eingangszeit eingetragen und die Medaille überreicht, in diesem Fall nach vier Tagen Gehzeit und einer exakten Zeit von 75:06:53 in Silber gehalten.

Im Festzelt gibt es Bier um teures Geld, wie in Schweden üblich, aber wir finden im hoteleigenen Supermarkt eine Quelle in Form von Dosen mit tschechischem Bier um umgerechnet einen Euro fünfzig! Das gibt ein ordentliches Gelage nach diesem beeindruckenden, aber auch sehr anstrengenden Marsch durch Nordschweden - und Till Gottbrath gießt sich in seinen Plastikbecher zur Feier des Tages einen Schluck Bier ein. (Martin Grabner/DER STANDARD/Rondo/18.9.2009)