Vom Eierbecher über den Sportwagen bis zum Großraumtransporter: Luigi Colani legte Designerhand an so ziemlich jeden Gegenstand.

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Studie aus dem Jahre 1983 für den "Mach 5"-Passagierflieger, der die Strecke von Tokio nach London in drei Stunden hätte schaffen sollen.

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Der "Ferrari Testa d'Oro" erreicht 1989 den Weltrekord für Autos in seiner Klasse mit 351 km/h. Dieser wurde noch immer nicht überboten.

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DER STANDARD: "Die Idioten von heute können kein Design mehr machen", sagten Sie einmal. Warum gehen Sie mit den Designern so scharf ins Gericht?

Luigi Colani: Die europäische und US-amerikanische Designwelt ist verkalkt. Die Pleiten zeigen es. Die Ursache dafür liegt in der Gesamtverkrustung, die sich bis nach unten zum Designer fortsetzt. Es geht nur um Gewinn-Absahne, um kurzzeitiges Denken. Die Designer dürfen nichts mehr für übermorgen entwerfen, weil da kein Geld fließt. Und fließt kein Geld, ist das Design nichts wert. Ich habe es immer anders gemacht. Ist jemand gekommen und hat mir genau vorgeschrieben, was ich machen soll, habe ich nur gesagt: "Nimm deine Mäuse und verschwinde!"

DER STANDARD: Ihrem Namen wird seit Jahrzehnten der Begriff Visionär beigestellt. Woran hapert's bei der Erfüllung vieler Ihrer Visionen?

Colani: Das Problem liegt unter anderem an der Entwicklung, dass wir in Europa an wesentlichen Bemühungen um einen euro-asiatischen Kontinent vorbeizielen. Unsere Perspektive sollte es sein, zusammenzufinden und gemeinsam mit Russland, Indien, China usw. aufzutreten.

DER STANDARD: Nehmen wir als konkretes Objektbeispiel Ihre Kugelküche für Poggenpohl aus dem Jahre 1968. Die Küchen sehen heute eher wie das Gegenteil aus - rechtwinklig reduzierte Landschaften im Edelstahlschick, in denen kein Geschirrtuch zu sehen sein darf.

Colani: Diese Branche arbeitet für die paar Restreichen - arroganter Schrott.

DER STANDARD: Sie provozieren immer noch gerne. Warum?

Colani: Provokation war vor allem damals nötig, um die Deppen aufzurütteln. Was ich gemacht habe, war Design für diese Zeit. Es war ein Aufbruch in die Hoffnung, dass man im Jahr 2000 Verständnis für all die Neuheiten haben wird - auch vonseiten der Industrie. Doch diese Hoffnung wurde zu einer großen Enttäuschung. Ich wollte den Menschen und der Industrie aufzeigen, wo wir heute sein könnten, aber ich wurde nicht verstanden.

DER STANDARD: Sie sollen einmal gesagt haben, Sie würden der gesamten Automafia erklären, was sie alles für Fehlleistungen begangen hat. Die hätten nicht begriffen, wie man Autos baut. Haben Sie es getan?

Colani: In den 70er-Jahren befanden wir uns in der ersten Ölkrise, es gab ein Fahrverbot auf Autobahnen. Da hat sich der Colani hingesetzt und eine Limousine und einen LKW gebaut, die nur ein Drittel des ursprünglichen Verbrauchs hatten, anstatt Millionen von Tonnen unnützen Treibstoffes in die Luft zu jagen. Und jetzt baue ich das schärfste Elektroauto der Welt. Sie werden sehen, in 20 Jahren werden die meine Designs realisieren müssen, weil sie es für unbedingt notwendig erachten werden.

DER STANDARD: Sie haben 2005 sogar die Uniformen für die Hamburger Polizei designt. Gibt es einen Gegenstand, der Ihnen in Ihrem OEuvre noch fehlt?

Colani: Angesichts der neuen Materialien und der Weltsituation muss alles neu designed werden.

DER STANDARD: Viele junge Designer nähern sich heute wieder verstärkt der Kunst an. Die Grenzen verschwimmen mehr und mehr. Was sagen Sie dazu?

Colani: Beides, Kunst und Design, sind immer eins gewesen. Ich bin vor kurzem zum Chef des Transportdesigns an der Universität Quingha in Beijing ernannt worden. Bei der Laudatio wurde gesagt, dass es alle wie Colani machen sollten, nämlich Hochtechnologie mit Kunst zu verbinden.

DER STANDARD: Sie gelten als einer der ersten Stardesigner. Wie denken Sie heute über diesen Begriff?

Colani: Ich wurde vom Pasadena Art Center College mit dem Visionary Design Award für mein Lebenswerk ausgezeichnet, vom französischen Salon d'Automobile bekam ich den Grand Prix de Design, und das London Design Museum hat mir eine ganze Ausstellung gewidmet. In China nennt man mich den da Vinci des Kunststoffzeitalters ... Ehre, wem Ehre gebührt.

DER STANDARD: Das Thema Umwelt ist so wichtig wie niemals zuvor. Sie haben sich schon sehr früh für den Schutz des Planeten eingesetzt. Wie beurteilen Sie die Entwicklung, wie der Mensch mit der Erde in den vergangenen Jahrzehnten umgegangen ist?

Colani: Für vieles ist es bereits zu spät. Dass man anstelle von Al Gore Bush zum Präsidenten gewählt hat, ist der Beweis. Aber es gibt zum Beispiel in China eine kleine Stadt namens Beihai mit 400.000 Einwohnern. Drei Viertel der Fahrzeuge wird dort von elektrischen Motoren angetrieben, in den Straßen ist es fast lautlos. Ich komme mir dort wie in einem Stummfilm vor.

DER STANDARD: Sie werden in Wien am 29. Juni bei einem Symposion über die Notwendigkeit eines europäischen kontinentalen Brandings und über Zukunftsstrategien für Europa sprechen. Was fällt Ihnen denn in einem Satz zur Zukunft Europas ein?

Colani: Nichts Positives, zu reich, zu arrogant, nicht nur körperlich verfettet, auch geistig. Ich wohne zwar in China, bin im Herzen aber nach wie vor Europäer. Aber ob diesem Kontinent noch zu helfen ist, ist eine große Frage. In Österreich und den südosteuropäischen Ländern leben die pfiffigsten Leute, hier liegt noch Schärfe, während der Norden schläft. Das Einzugsgebiet rund um Wien und Richtung Osten und Südosten hat wunderbare Staaten mit schönen, alten Kulturen, auf die man aufbauen kann. Ich komme gerne nach Wien - in dieses Einfallstor großartiger, raffinierter Gedanken.

DER STANDARD: Sie genießen bei manchen den Ruf eines "Weltverbesserers". Wie machen Sie heute die Welt besser?

Colani: Ich möchte die Verkrustungen des alten Kontinents aufbrechen, und das geht nur, indem man Europa in den Allerwertesten tritt. Ich habe es immer abgelehnt, mich einzureihen, was die Design-Mafia veranlasst hat, sich zu einer Anti-Colani-Bewegung zu vereinen. Ich möchte jungen, kreativen Menschen Mut machen, die Dämme zu brechen, was seinerzeit nur mit Provokation und Gewalt möglich war. Ich musste mir meine Freiheitsgrade hart erkämpfen. Und am 29. Juni in Wien werde ich versuchen, ein bisschen Hoffnung zu hinterlassen.

DER STANDARD: Sie leben unter anderem als Design-Professor in China. Wie sehr beeinflusst das Ihre Weltsicht?

Colani: Zehn Jahre Japan, 14 Jahre China - ich kann mich wehren, wie ich will, am Ende werde ich noch ein Weiser. Japan war anders - es war meine Lehrzeit in asiatischem Denken. Ich musste mich zehn Jahre lang innerlich in Stücke reißen, um zu begreifen, was Asien ist. Danach wurde ich nach China geholt, das vom Denken her wieder anders ist. Die Chinesen schauen über den Zaun und neigen seit 3000 Jahren zu westlichem Denken. Hier ist es viel europäischer als in Japan. Vor allem der Hunger nach Design und die handwerklichen Fähigkeiten der Menschen begeistern mich hier. Die Chinesen sind arbeitsam, intelligent und aufnahmefähig. Das hängt auch mit der chinesischen Kalligraphie zusammen. Hier muss man ein paar Tausend Buchstaben kennen, um alltägliche Dinge wie Zeitungen lesen zu können. Die Reizschwelle im Gehirn ist hier einfach anders. Wäre ich allerdings vor 30 Jahren nach China gegangen, wäre ich wahrscheinlich im Knast gelandet.

DER STANDARD: Viele Entwürfe von Ihnen sind nicht in Serie gegangen. Schmerzt das?

Colani: Derzeit gibt es eine Ausstellung meiner Werke in China. Auf zehn großen Bildschirmen werden gut 4000 meiner Designs gezeigt. Ich habe einen Designmuseum-Fundus im Wert von 50 Millionen Euro, den ich aus meiner eigenen Tasche finanziert habe. Auch die NASA ist beeindruckt, welche Akzente ich bei Flugobjekten gesetzt habe. Ich habe Millionen in eigenwirtschaftliche Forschung gesteckt. Damit habe ich alle Forschungsinstitute mit links in die Tasche gesteckt.

DER STANDARD: Womit hätten Sie im Bereich Design niemals gerechnet, was heute eingetroffen ist?

Colani: Mit dem iPod.
(Michael Hausenblas/Der Standard.at/rondo/26/06/2009)