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Ein Elefant in der Festung Amber in Jaipur.

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Das Rote Fort in Agra.

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Dehli: Man sieht Menschen und Tiere, Fahrzeuge aller Art, Fahrräder, Mopeds, Karren, Tuk-Tuks, bunt-bemalte und mit den sonderbarsten Ladungen versehene Lastwagen, die unter ohrenbetäubendem Hupenlärm anarchisch durcheinanderwuseln.

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Taj Mahal - Detail.

Grafik: DER STANDARD

Hinter den Hecken, Bäumen und Bougainvilleen zeichnet sich das Taj Mahal zart und zierlich gegen den rosaroten indischen Abendhimmel ab. Ein paar Vögel zwitschern unablässig in den Büschen, und im hellblauen Swimmingpool zu Füßen des Betrachters kräuseln sich die Wellen im Wind. So leicht und schwerelos sieht das berühmte Bauwerk am Horizont aus, dass es nicht unstimmig wirken würde, wenn es sich mit einem Mal vom Boden löste und in die Ferne entschwebte.

Von hier, dem Hotel Oberoi in Agra, nur ein paar hundert Meter Luftlinie entfernt, sieht man das Taj Mahal aus privilegierter Perspektive. Die narzisstische Fantasie des unter seinesgleichen leidenden Touristen, eines der architektonischen Weltwunder - Eiffelturm, Louvre, Empire State Building, was immer - einmal ganz für sich allein und ohne störende Mitgenießer genießen zu können, wird hier zur Wirklichkeit, oder wenigstens fast.

Auf einer von einer Balustrade begrenzten großzügigen Terrasse sitzend - alle Zimmer des Oberoi sind Richtung Taj Mahal ausgerichtet -, hat der Hotelgast den Eindruck, als residiere er in einem Privatanwesen und das indischste aller indischen Wahrzeichen gehöre, gleichsam wie ein Gartenhaus, zu diesem Anwesen dazu: So müssen sich die glücklichsten britischen Kolonialisten in ihren besten Momenten gefühlt haben.

Julia Roberts, Hollywood-Noblesse oblige, hat sich vor kurzem in der Präsidentensuite des Oberoi eingemietet. Ist auch die romantisch-launenhafte "Pretty Lady" dem Charme der Liebesgeschichte erlegen, die dem Taj wie ein Fundament zugrunde liegt und in seine Marmorwände, Wasserbecken und Intarsien wie eingebaut ist? Man müsste ein Holzklotz sein, wäre man für diese Geschichte unempfänglich: Untröstlich über den Tod seiner Frau Mumtaz, die bei der Geburt ihres 14. Kindes im Jahr 1631 verstarb, ließ der Großmogul Shah Jahan das Mausoleum in fast zwanzigjähriger Bauzeit errichten, 1648 wurde es schließlich fertiggestellt. Ein romantischeres architektonisches Zusammentreffen von Liebe und Tod ist schwer vorstellbar. Nicht von ungefähr sind es daher auch Paare aus aller Welt, die sich für ein Wochenende oder auch ein paar Tage länger hier im Oberoi in Agra einfinden.

Indien ohne das Taj Mahal? Wäre wie London ohne den Tower und Wien ohne den Stephansdom. Es ist natürlich alles andere als Zufall, wenn Regisseur Danny Boyle in seinem in Mumbai spielenden oscarprämierten Millionen-Show-Märchen Slumdog Millionär die jugendlichen Protagonisten, in einer hochgradig unwahrscheinlichen Szene, plötzlich im hunderte Kilometer entfernten Agra auftauchen lässt. Der einzige Sinn dieser Szene besteht ganz offenkundig darin, das Taj Mahal ins Filmbild zu rücken, weil ein Indien-Epos ohne dieses Gebäude einfach unvollständig und defizitär wirken würde.

Glück von Ganesha

Wie privilegiert und gleichsam exzentrisch ein Luxushotelaufenthalt in dieser Umgebung ist, zeigt sich im Kontrast mit der Außenwelt. Bei der Anfahrt und beim Anmarsch auf das riesige Taj-Areal tritt die harte soziale Realität Indiens in Gestalt von Händlervolk und Bettlern auf den Plan, die dem Touristen mit einem ganzen Füllhorn von Angeboten zusetzen: Ansichtskarten. Fotos. Glaskugeln, in denen, bei vierzig Grad Celsius atmosphärisch eher unpassend, miniaturhafter Kunstschnee auf miniaturhafte Plastik-Taj-Mahals niederrieselt. Holz- oder Porzellanfiguren des elefantenhäuptigen Ganesha, der bei den Hindus immer dann ins Spiel kommt, wenn man sich zu einem speziellen Anlass Glück von den Göttern erbittet: Also vor allem bei der Heiratszeremonie, zu der Ganesha traditionell als Erster mit einem Brief als Gast eingeladen wird.

Im klassischen indischen Touristendreieck Neu-Delhi-Agra-Jaipur liegt Agra im südöstlichen Winkel. Wenn man dieses Dreieck abfährt, kommt man in den Genuss einer ansehnlichen Auswahl indischer Attraktionen, etwa des imposanten Fort Amber in der Region Jaipur, zu dem eine träge dahinzottelnde Elefantenkarawane einen Touristen nach dem anderen hinaufträgt. In der Ende des 16. Jahrhunderts auf einem langgezogenen Bergrücken errichteten Befestigungsanlage gibt es den berühmten Spiegelsaal Sheesh Mahal zu besichtigen oder das Ganesh Pol, ein riesiges dreistöckiges Tor, das die Privatgemächer der Maharadschas und ihren Lustgarten Aram Bagh mit dem Rest des Festungspalastes verbindet. Weitere Highlights der Route sind Jaipur mit seiner rosaroten Stadt, dem berühmten Palast der Winde und dem mitten in der Stadt gelegenen, von 1728 bis 1734 erbauten Astrologiepark Jantar Mantar. Die überlebensgroßen steinernen Sternzeichenskulpturen dienen nicht nur der Erstellung von Horoskopen, die bei den Hindus hoch im Kurs stehen, sie lassen sich auch heute noch für erstaunlich exakte meteorologische Prognosen, etwa über die Dauer der Monsunzeit und Ähnliches, verwenden.

Ein weiterer Höhepunkt im "Dreieck", der vor allem Naturfreaks behagen dürfte, ist ein Besuch des im Jahr 1973 von einem Jagd- in ein Naturschutzgebiet umgewidmeten Radhambhore National Park mit seiner exotischen Vegetation, in der der Safari-Reisende neben Hirschen, Bären und Sumpfkrokodilen womöglich auch Tiger zu sehen bekommt. Selbstverständlich ist der Anblick freilich nicht, denn die Riesenkatzen sind scheu und eigenwillig und nicht vom Bedürfnis beseelt, sich den Menschen zur Schau zu stellen. Wir hatten bei unserem Trip Glück und wurden einer - wenn auch etwas lethargischen, weil von der Hitze ermüdeten - Tigerin ansichtig, die elegant über den Weg trottete und sich in ihrer ganzen animalischen Schönheit präsentierte. Eine Hauptattraktion der Reise entlang dem Dreieck Delhi-Agra-Jaipur ist aber die an sinnlichen Eindrücken überreiche Überlandfahrt selbst. Sich als Selbstfahrer in den extravaganten indischen Verkehr zu wagen ist keineswegs ratsam; vielmehr empfiehlt es sich, einen verlässlichen Fahrer und Guide anzuheuern - das Reisebüro kann bei der Vermittlung helfen -, der einen sicher durch das abenteuerliche Gewimmel auf Landstraßen und Autobahnen bringt: Da sieht man Menschen und Tiere, Kamelherden, Fahrzeuge aller Art, Fahrräder, Mopeds, Karren, Tuk-Tuks, buntbemalte und mit den sonderbarsten Ladungen versehene Lastwagen, die unter ohrenbetäubendem Hupenlärm (obligatorische Aufschrift eines jeden Gefährts ist die Aufforderung "Horn please!") anarchisch durcheinanderwuseln. Kein Wunder also, dass man für die 205 Kilometer von Delhi nach Agra fast einen ganzen Tag Fahrzeit einkalkulieren muss - und das auf einer Strecke mit durchgehender Autobahn.

Ein Auto ohne Bremse, erklärt uns unser freundlicher Guide Harry, sei im indischen Straßenverkehr noch eher funktionstauglich als eines, bei dem die Hupe defekt ist: In diesem Verkehrspandämonium akustisch auf sich aufmerksam zu machen, kann überlebensnotwendig sein. Bei allem ohrenbetäubenden Durcheinander ist der Fahrstil der meisten indischen Verkehrsteilnehmer aber nicht wirklich aggressiv - es ist nur eben eine Unzahl von ihnen unterwegs.

Immer wieder überraschend für alle, die von den mürrischen europäischen Umgangsgepflogenheiten geprägt sind: die offenkundig ganz ehrlich empfundene Freundlichkeit, mit der die an den Straßenrändern sitzenden Männer, Frauen und Kinder den Vorbeifahrenden zulachen und zuwinken: Der Gast genießt in der hinduistischen Religion große Wertschätzung und wird entsprechend wohlwollend behandelt. Spätestens dann, wenn man in Indien "on the road" ist, wird augenfällig, warum dieses Land in der globalisierten Welt des 21. Jahrhunderts eine zentrale Rolle spielen wird: Hier ist eine riesige Nation in Bewegung - nicht nur verkehrstechnisch, sondern auch ökonomisch, demografisch und in jeder sonstigen Hinsicht. (Christoph Winder/DER STANDARD/Rondo/19.6.2009)