Foto: Verlag
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Über indische Straßenküche und die Kunst, in bitterer Armut wie ein König zu essen.

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Im Grunde gibt es nur zwei Arten von Indien-Reisenden: Die einen wollen am liebsten für immer dableiben, weil die einzigartige Energie, das geschäftige Brodeln, die Intensität der Farben, Düfte, Aromen und die melodische Spiritualität des Alltags sie in ihren Bann gezogen haben. Die anderen wollen nach dem ersten Tag wieder weg. Weil das allgegenwärtige Elend, der beißende Kloaken-Geruch, der erschütternde, alles verschlingende Schmutz und das unablässige Gedränge ihnen buchstäblich viel zu nahe gehen. Vom gewöhnungsbedürftigen Essen und den existenziellen Gefahren, die in jedem köstlich kühlen Fruchtsaft lauern könnten, ganz abgesehen.

Köche auf den Straßen

Der aus Israel gebürtige Sephi Bergerson gehört zur erstgenannten Gruppe. Der Fotograf lebt seit Jahren mit seiner Familie in Neu-Delhi und versteht es in seinem eben auf Deutsch erschienenen Bild- und Rezeptband "Streetfood indisch" auf höchst ansteckende Weise, seine Faszination und Bewunderung für das indische Leben in Bilder einzufangen. Seine Motive sind die Köche auf den Straßen von Amritsar, Mumbai, Kolkata und anderen Großstädten des Subkontinents - und die Vielfalt der Speisen und Getränke, mit denen sie die schwindelerregenden Massen nähren. Es hat eine solche Grazie und Eleganz, wenn sie inmitten des wogenden Chaos auf irgendwelchen Stockerln thronen und Chai in Gläser sieben, Kartoffel-Kichererbsen-Küchlein in siedendem Fett herausbacken, den Joghurt-Drink Lassi mit unterschiedlichsten Früchten aromatisieren und mit gehackten Nüssen und Pistazien garnieren - oder Zitrusfrüchte fein säuberlich schälen, Betelblätter in essbares Blattsilber rollen oder hocharomatischen Byriani-Reis auf einfachsten Handwaagen portionieren.

Sicher doch: Wem vor schmutzigen Fingernägeln und flüchtig gespülten Gläsern graust, wer sein Curry auf einem sauberen Teller und nicht auf einem kunstvoll gefalteten Blatt serviert haben möchte, wer auf kaltes Bier statt lauwarmen Milchtee steht, der könnte beim Blättern durch diesen Bildband weniger inspiriert als degoutiert sein.

Zahlreiche Gewürze

Die Rezepte freilich sind es wert, auch von Hygiene-Eiferern nachgekocht zu werden - in der unbedenklichen Umgebung der heimatlichen Einbauküche. Manch ein in literweise Ghee (dem indischen Butterschmalz, Anm.) frittiertes Paratha-Brot oder die gefüllten und in Kichererbsenmehl panierten Chilischoten mögen in Haushaltsmengen nur unter erheblichem Aufwand zu produzieren sein, die meisten Rezepte aber sind erstaunlich einfach nachzukochen - so man sich erst einmal mit den zahlreichen Gewürzen eingedeckt hat, ohne die indisches Essen nicht sein kann und darf. (Severin Corti/Der Standard/rondo/27/03/2009)