Mode für die Party danach: Martin Margiela entwirft Kleidung mit Mehrwert.

Foto: Hersteller
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Einblicke in seine Welt.

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Im letzten Ausstellungsraum des Münchner Hauses der Kunst hängt ein kleiner, unauffälliger Zettel an der Wand. "Wow! Looks like Man Ray was here", steht auf dem Zettel. Die Möbel im Raum sind mit weißer Farbe übermalt, auf dem Boden liegen Konfetti, große silberne Punkte und weiße Luftballons; es sieht aus wie die White Party nach dem Last Call, die Ruhe nach der Aktion. Elektronische Avantgardemusik stampft aus den Lautsprechern. Videobildschirme und Fotos. Junge Menschen laufen mit ausdruckslosen Gesichtern ins Nichts.

Die Retrospektive des Modelabels Maison Martin Margiela atmet den Geist der Kunstaktion. Und der Zettel wirkt wie ein materialisierter Gedanke eines Kritikers, wie ein im Raum schwebender Ausruf eines überraschten Besuchers. "Wow, das sieht ja aus, als sei Man Ray hier gewesen."

Die Maison Martin Margiela (MMM) wurde vor 20 Jahren gegründet. Mittlerweile gilt MM als einer der einflussreichsten Schneider des 20. Jahrhunderts, "in einer Liga mit Christian Dior", wie Kaat Debo vom Antwerpener Modemuseum sagt. Er hat die Wanderausstellung kuratiert - und das just in einem Moment, in dem sich die Modewelt fragt, ob der Meister selbst überhaupt noch das kreative Zepter bei MMM führt.

Erster Margiela-Shop in München

Am gleichen Tag wie die Ausstellung wurde in München auch die neue Boutique von MMM eröffnet - nur 300 Meter weit entfernt. Auch hier Luftballone, Silberkonfetti und weiß bemalte Möbel. Zwischen Maximilianstraße und Prinzregentenstraße, den beiden parallelen Prachtstraßen der Stadt, verlief an diesem Tage ein imaginärer Tunnel oder eine Luftbrücke. Die Maison Martin Margiela stand an jeder Straßenecke.

Im ersten Raum trifft der Besucher auf ein lebensgroßes 3-D-Gruppenbild der Angestellten von MMM aus weißem Kunstharz. Auf der Plakette daneben sind nicht die Namen der Mitarbeiter vermerkt, sondern nur ihre Funktion: Designer, PR-Fachleute und Schneider. Die anwesenden MMM-Repräsentanten tragen einen weißen Kittel, wie sie die Schneiderinnen der Pariser Ateliers früher trugen.

Martin Margiela war, Ende der 80er, eine Absage an den Celebrity-Kult der Mode, an Versace und die Supermodels. "Es geht ihm nicht um Gesichter, sondern um Stoffe und Schnitte", sagt Kaat Debo. Die bekittelten Menschen sehen aus wie Laboranten, Pathologen, Mediziner und Giftmischer. Die MMM-Menschen bewegen sich in Gruppen und mit ernsten Gesichtern durch das Museum, sprechen immer im Plural von Motiven und Handlungen und wirken wie die Mitglieder einer seltsamen Sekte, eine neue Lebensform jenseits des Individualismus.

"Destroy-Fashion"

Die Ausstellung zeigt die Klassiker seiner "Destroy-Fashion": Pullover, die aus alten Militärsocken zusammengesetzt sind, ein Kleid, das aus einzelnen Lederhandschuhen besteht, modische Readymades und stoffliche Systemkritik. Eine Reihe von kopflosen Mannequins präsentiert runde, eckige, raumgreifende Schulterformen und sieht dabei aus wie die Exponate einer antiken Statuen-sammlung.

Die Nichtfarbe Weiß, Grau, Silber und andere metallische Töne dominieren die Ausstellung. Deren Besuch wirkt wie eine Wanderung im Fernsehtestbild, dieser medial-elektronischen Winterlandschaft. In einer Ecke stehen noch eingetrocknete Pinsel und Farbkübel, die wichtigsten Werkzeuge von MMM, die bekannt dafür ist, mit "Farbe eher wertlose Dinge wie Second-Hand-Klamotten in hohe Mode zu verwandeln", wie Kaat Debo erklärt. Die unschuldige, milchige Glasur erhält auf Lederjacken und Schuhen im Laufe der Zeit ganz individuelle Risse.

Das Trend-Item wird erst so zum Einzelstück, das auch über seine eigene Geschichte und Vergangenheit erzählt. Die Entwürfe von MMM sind Erinnerungsarbeit, enthüllen durch offen gelegte Nähte und externe Schulterpolster die Geheimnisse und Kniffe des Handwerks. Der Produktionsprozess, Skizzen, Schnittmuster, Fertigung sind in den Modeteilen simultan erfahrbar.

Unmöglichkeit von Authentizität

Mode im Museum? Das revolutionäre Potenzial dieser Idee ist verflogen, die Kreativschneiderei ist längst anerkannt unter den unzähligen Künsten der Gegenwart. Stil und Style von MMM erinnern unter anderem an Magritte, Man Ray oder die Happenings des Fluxus. Das rechtfertigt die Präsenz der Haute Couture im Kunstraum gleich neben den Arbeiten von Gerhard Richter. Es gehört zur Eigenart von MMM, dass die erklärenden Plaketten des Museums gar nicht notwendig sind; seine Ideen - Dekonstruktion, Simulationsgesellschaft und die Unmöglichkeit von Authentizität - sind auf seinen Kleidungsstücken sehr gut lesbar. (Tobias Moorstedt/Der Standard/rondo/27/03/2009)