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Atemberaubend schön und erschreckend verdreckt zugleich: die Halong-Bucht im Norden Vietnams. Noch genießt diese Landschaft Welterbe-Status.

 

Grafik: DER STANDARD

Das Wetter meint es gut. Statt der laut Reiseführer zu erwartenden 15 Grad im Februar hat es 20, bald auch 25 Grad. Die Luftfeuchtigkeit ist erträglich, man kann sich aus der Arschabfrierzone Europas kommend also klimatisch lässig eingrooven. Guten Morgen, kurze Hose! Über 20 Grad halten manche Einheimische dennoch nicht davon ab, einen auf Winter zu machen. Man sieht junge Frauen im Rollkragenpullover, darüber Jacke mit Pelzrand. An den Füßen: Flip-Flops. Anderes Klima, andere Sitten. In einem hat der Reiseführer hingegen recht: Der Verkehr ist "crazy".

Dabei ist er in der Hauptstadt Hanoi, einer von fünf Stationen in einem einmonatigen Urlaub in Vietnam, noch gar nichts. Nichts im Vergleich zu Saigon – Pardon – Ho-Chi-Minh-City, der südvietnamesischen Metropole. Dort gilt: "wild and crazy!" Da wie dort folgt die Blechlawine kaum eventuell vorhandenen, hinter der Autorität von Paragrafen verankerten Straßenverkehrsbestimmungen, sondern eher den Gesetzen der Strömungslehre sowie dem Chaosprinzip bei gleichzeitig buddhistisch-optimistischem Vertrauen auf die Überzeugungskraft der Hupe.

Verkehr bedeutet in Vietnams Großstädten, dass vor allem unzählige Motorräder unterwegs sind. 65 Prozent der gut 85 Millionen Vietnamesen sind unter 30 Jahren. Und alle scheinen sie Moped zu fahren: Allein, zu zweit oder mit der ganzen Familie. Die klassische Fahrrad-Rikscha ist deshalb auch am Aussterben. Außer Touristen, die der nervigen Anmache "One hour!" erliegen, nützt kaum mehr jemand dieses Schneckentaxi.

Der Urlaubsmonat folgt dem (zufälligen) Prinzip laut und leise: Hanoi (laut), Halong Bay (leise), die alte Kaiserstadt Hue in der vietnamesischen Mitte (dank einer laufenden Hotelrenovierung ebenfalls laut), Saigon (laut), Mekong Delta (laut und leise), der Insel Phu Quoc (leise). Und vor dem Rückflug noch eine halbe Woche Saigon. Nach einigen Tagen Verkehrserziehung, Akklimatisierung mittels Bia Hoi (Leichtbier vom Fass) und dem ersten Darmgewitter wird die Halong-Bucht als Ruhepol anvisiert. Von Hanoi dreieinhalb Stunden mit dem Kleinbus entfernt, ist diese Bucht mit ihren knapp 2000 Kalksteininseln nicht nur der populärste touristische Magnet der Region, sondern seit 1994 auch Unesco-Welterbe. Für Boot-Trips durch die Bucht werden ein-, zwei- oder dreitägige Touren angeboten. Empfehlenswert sind kleinere Dschunken, die großen verströmen den Charme schwimmender Reisebusse. Wer in diesem sehr billigen Reiseland auch da noch spart, verdient es aber auch nicht anders. Ungeachtet dieser Entscheidung ist der Ausblick auf die meist senkrecht aus dem Wasser emporragenden, grün bewachsenen Inseln spektakulär. Die Bucht ist ein Insellabyrinth aus Steinchen, die die Bezeichnung Insel kaum verdienen, und riesigen Erhebungen, die wie aus dem Wasser ragende Berggipfel wirken, über denen Vögel kreisen: Jö, wie in der "Geierwally". Nur ganz anders.

Der Legende nach entstanden die Inseln, als ein Drache aus den Bergen an die Küste stürmte und dabei mit seinem Schwanz tiefe Gräben schlug. Als das Meer diese füllte, entstand Halong, was in etwa "Wo der Drache ins Meer steigt" heißt. Auf den kleineren Dschunken (bis zirka 14 Personen) wird man eine gute Stunde von der Küste weg in die inseldurchzogene Bucht geschippert. Obligatorisch ist die Besichtigung riesiger Tropfsteinhöhlen, die während des Vietnamkriegs Verletzten als Versteck und Spital dienten.

Das muss man den Führern allerdings aus der Nase ziehen, weil diese mittels Babyenglisch lieber über phallisch geformte Stalagmiten kichern. Kindisch trifft man in Vietnam öfter. Übernachtet wird auf dem Boot, in ruhigen Buchten, tags darauf kann man schwimmende Dörfer besuchen und/oder seelenruhig durch die Gegend paddeln. Klingt alles paradiesisch und ist es zu einem Gutteil auch. Doch es gibt Ärger im Paradies.

Rund 500 Dschunken tuckern täglich durch die Bucht. Und wohin deren Abfall kommt, verrät ein Blick ins dunkelgrüne, vom Öl oft auch in nicht ganz so natürlichen Farben schimmernde Wasser. In diesem treiben abertausende Plastiksackerln, Flaschen und anderer schwimmender Müll. Flächendeckend. Ein Horror! Ähnlich sieht die nähere Umgebung der Floating Villages aus. Was früher in Bananenblätter gewickelt wurde, kommt heute im Plastiksackerl daher. Entsorgt wird das eine wie das andere.

Welterbe in Gefahr

Zwar melden sich erste offizielle Stimmen, die sagen, wenn sich das staatliche Management nicht dringend dieser Problematik annimmt, werde die Bucht in zehn Jahren zugemüllt sein. Auch der Welterbestatus, um dessen Aufrechterhaltung Vietnam zurzeit wieder buhlt, wäre dann wohl Geschichte. Es bedürfte aber eines Radikalschwenks, um nicht nur die tägliche Verschmutzung zu verhindern, sondern auch die bisherige zu beseitigen. Da kann sich der Vollmond in der lauen Nacht noch so prächtig im Wasser spiegeln, der sich dort ebenfalls abzeichnende Müll konterkariert dieses Naturwunder grausam.

Ähnliches könnte dem zweiten Paradies der Reise blühen: Die Insel Phu Quoc, dem Südwesten Vietnams vorgelagert, boomt – wie der Rest des Landes – seit der Öffnung Vietnams für den Tourismus und dem staatlich akzeptierten privaten Kapitalismus in den 1990ern. An den kilometerlangen Sandstränden zeichnen sich längst auch die Umweltschutzmängel ab. Zwar halten die meisten Bungalow-Anbieter ihre Strandabschnitte sauber, aber es ist wie beim Schneeschaufeln bei uns. Wo das Nachbarhaus beginnt, wird aufgehört. Phu Quoc, eine knappe Flugstunde von Saigon entfernt oder in zweieinhalb Stunden per Schnellboot von Rach Gia zu erreichen, bietet ansonsten alle Annehmlichkeiten und Zerstreuungen, die man auf Inseln gemeinhin sucht: Schnorchel- und Tauchtrips sowie Bootsausflüge. Alles sehr individuell und easy.

Die Insel kann man mit Motorrädern erkunden, oder man versenkt sich in dicke Bücher und freut sich auf das königliche Essen. Etwa im mit Abstand liebevollsten Resort des oberen Long Beach, dem Mai House Resort. Dieses wird von einer Vietnamesin und ihrem französischen Mann in zurückhaltend familiärer Weise betrieben. Es liegt südlich der Ortschaft Duong Dong. Für das Essen, die Soul- und Jazz-Musik im Hintergrund kommen abends hier Besucher des ganzen langen Strandes angeschlapft. Warum also nicht gleich hier wohnen? (Karl Fluch/DER STANDARD/Rondo/20.3.2009)