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Naturfasern nicht nur für die Reichen fordert Carlo Petrini.

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"Petrinis Ansichten sind ein wenig extrem", meint Paolo Zegna.

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Herrenausstatter Paolo Zegna und Slow-Food-Chef Carlo Petrini möchten das ändern - Einer Meinung sind sie deswegen nicht.

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Auf den ersten Blick scheint es, als wären sie Lichtjahre voneinander entfernt: auf der einen Seite Paolo Zegna, Präsident von Ermenegildo Zegna - dem größten Herrenmodehaus der Welt. Auf der anderen Carlo Petrini, Präsident und Gründer von Slow Food - jener globalisierungskritischen Vereinigung von Feinschmeckern, die im Laufe der Jahre zu einer Schutzorganisation für Kleinbauern und nachhaltige Landwirtschaft mutiert ist.

Dass sich die beiden im Jahr der Wirtschaftskrise trotzdem einer gemeinsamen Sache verschrieben haben, ist der FAO - der UN-Organisation für Ernährung und Landwirtschaft - zu verdanken. Diese hat 2009 zum Jahr der Naturfaser erklärt. Mit dem Ziel, deren nachhaltigen Charakter zu promoten.

"So groß sind die Unterschiede gar nicht", erklärt Zegna in seinem Büro im hypermodernen Glasgebäude des Stararchitekten Antonio Citterio im Mailänder Designer-Viertel Tortona. "Seit der Gründung der Firma, also schon zu Beginn des 20. Jahrhunderts, kümmerten wir uns um unsere Lieferanten", so der Arbeitgeber von 8000 Angestellten weiter. "Wir haben diese Art von Engagement sozusagen im Blut."

Landwirtschaftlicher Akt

Szenenwechsel in das bescheidene Büro Carlo Petrinis, in der piemontesischen Kleinstadt Bra, mit lokaltypischer Pawlatsche und 100-jähriger Weinrebe vorm Fenster: "Berührungsängste haben wir prinzipiell keine", beteuert Petrini. "Sich zu kleiden, genauso wie sich zu ernähren, ist ein landwirtschaftlicher Akt - und somit Bestandteil der Sache, für die wir kämpfen", stellt der Vorsitzende einer Organisation klar, die heute weltweit 100.000 Mitglieder zählt. "Kunstfaser wird aus fossilen Rohstoffen erzeugt, und die werden wir bald nicht mehr haben."

"Petrinis Ansichten sind für unsere Begriffe manchmal ein wenig extrem", findet Zegna zwar, "trotzdem wollen auch wir das Bewusstsein des Konsumenten für Naturfasern steigern und sind - zumindest in diesem Punkt - mit Slow Food sehr wohl auf einer Linie." Tatsächlich machen die Fasern tierischen oder pflanzlichen Ursprungs laut FAO heute nur noch 40 Prozent der Weltproduktion an Textilien aus. Tendenz fallend.

Während allerdings Zegna nur für die besten Materialien Verwendung findet, interessieren Petrini eher jene, welche die Bauern an Ort und Stelle verarbeiten und selbst tragen können. "Trachten sind keine Folklore, sie verkörpern sowohl die Identität als auch die Würde derer, die sie tragen", deklamiert Petrini, dessen Organisation sich neben Wolle und Baumwolle für Flachs, Jute und Hanf interessiert. Zegna dagegen ist einer der weltgrößten Käufer von Wolle aus Australien, Mohair aus Südafrika, Kamelhaar und Kaschmir aus der Äußeren und Inneren Mongolei sowie von Alpaka und Vicuna aus Peru. Allesamt werden ausschließlich im Stammhaus der Firma, in Trivero, zu traditioneller Herrenmode umgewandelt.

Rückkehr zu wahren Werten

"Wir müssen dafür Sorge tragen, dass Naturfasern zuallererst als Bekleidung für die lokale Bevölkerung genutzt werden und nicht nur den Reichen dienen", tönt es aus Bra. "Ich habe noch nie einen Bauern getroffen, der mich gebeten hat, ihm etwas von seiner Produktion nicht abzukaufen", heißt es hingegen in Mailand. "Im Gegenteil: Wir werden meistens angefleht, mehr abzunehmen!"

"Uns ist wichtig", relativiert daraufhin Petrini, " dass es sich für die Bauern auszahlt zu produzieren. Wenn Zegna dafür geradesteht, warum sollten wir nicht einen Teil des Weges zusammen gehen?" Den ersten Teil dieses Weges beschritt man im Oktober, in Turin. Alle zwei Jahre lädt Slow Food Kleinbauern aus aller Welt zu einer Konferenz namens Terra Madre in die piemontesische Hauptstadt ein, um Erfahrungen auszutauschen und Probleme zu besprechen. 2008 waren erstmalig - und auf Zegnas Kosten - auch 75 Gemeinschaften von Naturfaserproduzenten geladen.

"Wo wir uns mit Petrini einig sind", sagt Zegna, "ist, dass es eine Rückkehr zu wahren Werten geben muss. Das betrifft Stoffe genauso wie Lebensmittel." Nach Slow Food also Slow Fashion. Könnte es sein, dass die Krise dazu beiträgt, ein wenig mehr Vernunft in unser Konsumverhalten zu bringen? In Bra wie auch in Mailand glauben zwei unterschiedliche Italiener fest daran. (Georges Desrues/Der Standard/rondo/20/02/2009)