Immer wieder auf den Boden der Knotz-Realität bringt einen das preisgekrönte Sofa "Lava" von Vertijet für COR.

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Das Holzbesteck "WoodyKellen"

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Das Duo Vertijet, Kirsten Hoppert und...

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... Steffen Kroll

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"Wir sind aktuell dabei durchzustarten, und das nach zehn Jahren Vorarbeit!", sagt Steffen Kroll, männliche Hälfte des Duos, auf die Frage, in welcher Flugphase sich Vertijet gerade befinde. 1968 in Harzgerode in der ehemaligen DDR geboren, studierte Kroll nach einer Tischlerlehre das Fach Produktdesign an der Hochschule für Kunst und Design in Halle. Dort traf er auf seine Lebens- und Arbeitspartnerin Kirsten Hoppert, die sich für Innenarchitektur entschieden hatte. "Viele Auftraggeber suchen gar nicht nach wirklichen Innovationen oder radikalen Lösungen, sondern wollen lediglich irgendwie den Markt bedienen", schildert Kroll die zähen Anfänge. Kein Grund für das Duo, eigene Ideen an marketingweichgespülte Maximen anzupassen. Auf der Suche nach Unternehmen mit Rückgrat und Interesse an echten Neuentwicklungen wurde man schließlich fündig: Für den Polstermöbelhersteller COR entwarf das Duo ab 2002 die Sitzmöbel "Nuba", "Scroll", "Ovo" und nicht zuletzt das Sofa "Lava", für das Vertijet kommenden Februar den Designpreis der Bundesrepublik Deutschland 2009 in Silber erhalten wird.

Auf dem Boden bleiben

Lava, wohl eine der erfrischendsten Neuheiten im Sofawald, ist eine bodennahe Sitzlandschaft, die an den zäh dahinfließenden Auswurf spuckender Vulkane erinnern soll. Wer dabei an einen vorlauten Möbel-Gag denkt, der seinen Betrachtern das Strohfeuer eines vorschnellen Lächelns ins Gesicht zaubert, liegt völlig falsch, denn "Lava" steht mit und trotz seiner Story für ein durchdachtes Möbel, das die ununterbrochen brennende Frage aller Designer "Wie wollen wir leben?" auf komplexe Weise beantwortet. "Ein immens großer Teil der Menschheit sitzt ja bereits auf dem Boden!", erzählt Kroll ungerührt und spielt damit auf den asiatischen Kontinent und die betont niedrige Sitzhöhe von "Lava" an: Mit Ausmaßen von gut drei mal drei Metern Länge und Breite und einer Gesamthöhe von 75 Zentimetern kommt die markante Couch betont niedrig daher.

"Wir hocken den ganzen Tag vor dem Computer, warum sollen wir den Abend nicht anders verbringen?", hinterfragt Kroll. Professionell umgesetzt, zählt das flache Fläzmöbel heute zu den erfolgreichsten Lancierungen von COR. Doch nicht immer begegnet dem Duo so viel Fortschrittsglaube. Da ist es schon vorgekommen, dass altgediente Herstellerfirmen mit der Frage "Wollt ihr uns auf den Arm nehmen?" in erster Linie die eigene engstirnige Sichtweise demaskierten. "Für Jux haben wir keine Zeit!", sagt Kroll, Erfinder des tragbaren Wander- Kamins. Vom deutschen Unternehmen Conmoto produziert, lässt sich "Travelmate" in der Form eines verglasten, stahlumrandeten Aktenkoffers aufstellen, wo immer es seinem Besitzer beliebt. Praktisch, wärmend - und ein garantiert unkonventioneller Blickfang.

"Irgendwo zwischen amorph und geometrisch, oder kurz gesagt: generalistisch", so beschreibt das Duo das Typische der eigenen Entwürfe. Kirsten Hoppert, weiblicher Part des Duos, sieht das in der vormaligen DDR herrschende Design-Vakuum als klaren Vorteil für den heutigen, charakterstarken Ausdruck: "Ich war 16, als die Mauer fiel, zu diesem Zeitpunkt war das Thema Design in der Öffentlichkeit nicht präsent. Folglich hatten wir keine fertigen Bilder im Kopf, konnten uns frei entwickeln und einfach bei null anfangen."

Weiters umschreiben die beiden ihre Designs gern mit dem Begriff "trojanische Formen". Und meinen damit, dass gutes Design unbedingt über Ästhetik verführen soll, nicht über intellektuelle Prozesse. Denn in einer entzauberten Welt, in der alle Aufgaben gelöst scheinen, fehle schlichtweg das Fantastische. In ihrem Sinne müsste es mehr Designer von der Machart eines Philippe Starck geben, der sich traut, mit den Dingen zu spielen, der mit seinen Entwürfen Geschichten erzählt und ab und zu auch einmal deren Funktionalität infrage stellt. Reines Experimentieren interessiert das Duo nicht. "Wir leben im gleichen Gefühlskosmos wie unsere Kunden", so eines der Statements. Was heißen soll: Wir sind Teil der Welt, für die wir entwerfen, und haben ähnliche Ansprüche und Vorstellungen.

Da stellt sich die kühne Frage, wie wohl ein Planet aussehen würde, der komplett nach den Vorstellungen der beiden Gestalter geformt wäre? "Was für eine Frage! Statt Häuser könnte ich mir eingefärbte Gashüllen vorstellen - Heizkörper und Gardinen gäb's jedenfalls keine!", schlägt Steffen Kroll spontan vor, der schon als Kind gern Sciencefiction-Filme sah.

Aufs Nötigste reduziert

Von irdischer Gestalt und doch von einer neuen Betrachtungsweise erzählt die Taschenserie "Akashi" für Bree, die 2005 entstand und japanische Ästhetik durchschimmern lässt, während die dynamischen Linien von Bürodrehstuhl "Float" dem statisch-tristen Büroleben klar den Kampf ansagen. Ähnlich gewieft zeigt sich das Holzbesteck "WoodyKellen", das demnächst in der eigens gegründeten Vertriebsfirma Vertijeté an den Start geht: An handelsüblich ausgeformte Schöpfkellen und Gabelzinken gewöhnt, stutzt das Auge zuerst einmal angesichts der wie aus Ästen geschnitzten Werkzeuge mit ihren aufs Nötigste reduzierten Funktionen. Trojanische Formen? Trifft zu! Doch anders als im kolossalen Kampf um die schöne Helena gibt's bei den Designs der Vertijet-Poeten ein Happyend - in der Küche, im Büro und an den sonstigen Stationen des Alltags. (Franziska Horn/Der Standard/rondo/23/01/2009)