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Modeschauen laufen heute nach ähnlichen Regeln ab wie in den letzten 50 Jahren. In Paris und New York genauso wie auf der Fashion Week in Kiew. Dabei hat sich die Realität der Branche grundlegend geändert. Wer es sich leisten kann, entwirft mehr als zwei Kollektionen im Jahr. Und nicht die Redakteurinnen bestimmen, was Mode wird, sondern die Blogger vor den Bildschirmen.

Foto: Reuters/Gleb Garanich

Dämmerlicht, Gemurmel, Zeitlupenbewegungen. Unruhig rutschen die Besucher auf den blankpolierten Holzstühlen umher, rascheln mit den Flyern, richten den Blick suchend nach oben. Die Minuten vor einer Modeschau sind eine Zwischen-Zeit, zwischen Stillstand und Action, Alltag und Erleuchtung. Dann knackt das PA-System der Lautsprecher, eine Stimme erfüllt den Raum, und alles wird Licht.

Die "Fashion Show" erinnert durch das ehrfürchtige Publikum, die glamouröse Bühnenchoreografie, den universalen Anspruch ("DER neue Look!") nicht ohne Grund an einen Gottesdienst. Engelgleiche Wesen, umweht von Chiffon und Seide stolzieren im Licht und öffnen in der grauen Gegenwart ein Fenster in die Zukunft.

Konsumkultur

Die "Fashion Weeks" von London, Paris, Mailand und New York gehören zusammen mit Muttertag und Valentinstag zu den sakralen Daten unserer Konsumkultur - es sind Feiertage, die das Jahr ordnen und ein bestimmtes Verhalten vorgeben (Kleiderschrank ausmisten, Kreditkarten polieren). Wenn in den nächsten Wochen also die Mode-Elite wieder mehrere Hundert Modeschauen von Stefano Pilati, Marc Jacobs und Co besucht, in Taxis von Event zu Event hetzt, schaut, trinkt, raucht und lästert, werden die neuen Gebote der Mode aus dem Himmel auf die Straße gesendet. Redakteure, Stylisten und Einkäufer deuten und übersetzen die göttlichen Eingebungen der Designer - auf dass das Fußvolk sie befolge.

Kurz nach der Modeschau, der Applaus für den Designer ebbt gerade ab, das Neonlicht erwacht flackernd zum Leben, greifen alle Anwesenden sofort zu ihren Blackberrys und iPhones und senden die neuesten Nachrichten hinaus in die Welt. Die elektronische Geschäftigkeit vertreibt die Magie des Modemoments.

Die Rituale der Modewelt mögen nach den gleichen Regeln und Codes ablaufen wie in den vergangenen 50 Jahren, die Realität der Branche aber, meint der Wiener Autor und Designer Harald Gruendl, "die Produktionstechnologie und Logistik haben sich stark verändert. Man ist nicht mehr gezwungen, seine Kollektion nur zweimal im Jahr vorzustellen, sondern kann neue Farben und Schnitte innerhalb weniger Wochen in die Läden bringen." "Ein Ritual muss nicht zeitgemäß sein", sagt Gruendl, der die schöne Studie "The Death of Fashion" geschrieben hat, "es existiert jenseits von Trends." Die zunehmende Geschwindigkeit und Reizdichte des globalisierten Medienkapitalismus setzen das Ritual der "Fashion Show" zunehmend unter Druck.

Die Stars stehlen den Schauen die Show

Die Schauen verlieren gegenüber anderen Publicity-Formen an Bedeutung. Die Modehäuser haben bemerkt, dass ein Hollywood-Star, der eine neue Kreation auf dem roten Teppich trägt, mehr Aufmerksamkeit generiert als die monotonen Laufstegfotos. Product Placement killed the Runway Star. Vogue-Chefin Anna Wintour - scandalous! - schwänzte vor zwei Jahren die Prêt-à-porter-Schauen in Paris. Und vergangenen September beklagte der Guardian die "Absenz der Stars" bei der Fashion Week in New York. In der ersten Reihe saßen nur B-Prominente. Dass das Fernsehpublikum in Casting-Shows wie "Austria's Next Top Model" die Geheimnisse der Branche auf Talkshow-Niveau präsentiert bekommt, grenzt fast schon an Blasphemie.

Immer noch reisen etwa zur Mailänder Modewoche mehr als 15.000 Modeleute, Einkäufer und Medienschaffende an. Die Luxushersteller geben für eine fünfzehn Minuten lange Show bis zu einer Millionen Euro aus - ein teurer Real-Life-Werbespot. Die Fashion-Show war, bevor sie in den 50er-Jahren den Hauch eines Kunst-Events bekam, eine banale Werbeveranstaltung. Die großen Kaufhäuser veranstalteten schon im frühen 20. Jahrhundert glamouröse Runway-Shows, um ihren Kundinnen die neuesten Produkte zu präsentieren.

Allgegenwart des Phänomens

In den 50er-Jahren wurden Modeschauen in Kaufhäusern so populär, dass Edna Woodman Chase, die ehemalige Vogue-Chefin, die 1914 mit der "Fashion Fete" die erste Modenschau überhaupt veranstaltet hatte, sich in ihren Memoiren über die Allgegenwart des Phänomens bitterlich beklagte.

Auf den ersten Blick haben sich die "Fashion Weeks" kaum verändert. Noch immer obsessiert die Modeszene gerne über die handgeschriebene Einladungen in vier verschiedenen Kategorien, notiert, wer wann, wo und mit wem sitzt, fachsimpelt über die Verlässlichkeit der Chauffeure und blickt auf den - in den kommenden Jahren wieder freigelegten - Bauchnabel. "Die Pariser Schauen ziehen ihre Faszination aus der glamourösen Geschichte der Stadt als Modekapitale", sagt Harald Gruendl. Genau wie Ikonen, die in der heiligen Stadt Byzanz gefertigt wurden, einen besonderen Wert für die Gläubigen besaßen, werden auch die Bilder vom Pariser Catwalk mit der Aura der Stadt aufgeladen. Ein Ritual zeichnet sich dadurch aus, dass es (1) regelmäßig aufgeführt wird, dass (2) nur eine begrenzte Anzahl von Personen beteiligt ist und es (3) nach klaren Regeln und mit (4) theatralischem Gestus aufgeführt wird. Der innere Kreis der Mode wird durch neue Medien aufgebrochen.

Internet hat Modeschauen verändert

"Man kann heute als Magazin nicht mehr Fotos machen und dann ein halbes Jahr warten", sagt Gruendl, "die Bilder sind schon nach wenigen Minuten im Internet verfügbar." Das macht es nicht nur für die Fotografen schwieriger, exklusive Bilder zu schießen, sondern berührt auch die Diskurshoheit der Mode-priester. Als etwa Cathy Horyn, Modekritikerin der New York Times, voriges Jahr von Armani wegen ihrer Kritiken ausgeladen wurde, mokierte sie sich in ihrem Weblog über diese antiquierte Reaktion.

Die Dynamik des Medienzeitalters bringt die Hierarchie der klassischen Modeszene zur Implosion. Im Web kann sich jeder zu den Kreationen äußern: Journalisten, Blogger, Konsumenten. Webseiten wie "The Sartorialist", "Facehunter" und "Iconique" machen den alten Bibeln Vogue, Vanity Fair und Harper's Bazaar zunehmend Konkurrenz. Im Internet herrscht eine permanente Debatte über In und Out, Weiß und das neue Schwarz, die sich nicht auf zwei Zeitfenster in Frühjahr und Herbst beschränkt.

Geht die Zeit des Rituals Fashion-Show langsam zu Ende? Modehäuser experimentieren längst mit neuen Formen der Produktpräsentation. YSL zeigte vergangenes Jahr eine "virtuelle Modenschau" und ließ die Videokünstler von Colonel Blimp eine Bildinstallation in Zeitlupe kreieren. Viktor & Rolf luden ihre Fans nicht nach London oder Paris ein, sondern präsentierten ihre Mode gleichzeitig "in jeder Stadt der Welt", wie es auf der Einladung hieß. Die Modeschau fand ausschließlich im Internet statt - der neuen Hauptstadt der Mode. (Tobias Moorstedt/Der Standard/rondo/23/01/2009)