Speisen wie im Fiebertraum: Die Einrichtung des neuen "Retchenka" ist erfrischend abwegig.

Foto: Gerhard Wasserbauer

Das Essen aber löst alle Vorurteile an postsowjetische Küche ein.

Foto: Gerhard Wasserbauer

Nicht, dass das "Retchenka" (kleiner Fluss, Anm.) am tiefen Ende der Riemergasse eine feudale Hütte wäre. Das verwinkelte Lokal ist bloß mit kitschverliebtem Pomp ausstaffiert, dass es einen beim Eintreten erst einmal reißt. In Russland dürfen Restaurants offenbar noch was gleichschauen. Solche Kaskaden an blauem Samt, Satin und Flauschteppich gab es bislang nur im Sacher Salon, wenn überhaupt.

Hier mögen sie zwar etwas günstiger (und leichter entflammbar) ausfallen. Das wird durch den Porzellannippes aber mehr als kompensiert, der in zahllosen Figuren, Spiegeln und Vasen, als vielarmige Luster und Kandelaber allgegenwärtig wuchert. Das Highlight setzt die Bar, eine mehrfach geschwungene Glastheke, die als Tropenfisch-Aquarium doppelfunktioniert - beleuchtet, natürlich. Wochenends gibt es Livegesang und Tanz, Wodka wird flaschenweise verrechnet.

Ledrige Bliniflappen

Das klingt soweit ganz verlockend - wer außerdem auch essen will, muss sich aber auf einen Mix aus selbstbewusster Preisgestaltung und heillos überforderter Küchenleistung gefasst machen. Das mag angehen, wenn man gerade keinen Hunger, aber zu viel Geld eingesteckt hat. Dann wiegt der ärmliche Klacks russischer Salat samt angetrocknetem hartem Ei seinen Preis von gut zehn Euro vielleicht in Amüsement auf, während Zalivnoje, leimige Fischsulz mit Muscheln (Dosenware, zum Glück), bloß dekorativ wabbeln soll.

So aber wirken die ledrigen Bliniflappen zum Kaviar - gibt es in Schwarz (nicht gekostet) und Lachs (ganz okay) - eher unfreundlich, während die alkoholscharfe Oberstunke zum Schweinssteak ("Husarenlanget") gern Stimmung machen möchte - wenn auch auf jene Art, die tunlichst in die fettbedingte Ohnmacht des Gastes münden sollte.

Desgleichen die Teigtaschen Pelmeni, mit Fleischfüllung und runzeligen Champignons sowie einer Scheibe Schmelzkäse garniert ("Zarengedeck"), bei denen zumindest der Preis (24,60 Euro) für Unterhaltung sorgt. Der Schmäh wirkt freilich nicht in der Wiederholung, spätestens beim tranig lettelnden Stör mit Rosinen in Tomatensauce (?) ist es einem nicht nur um den Fisch leid - sondern auch um die 35,30 Euro. (Severin Corti/Der Standard/rondo/16/01/2009)