Der Stelenpark von Aksum.

Foto: DER Deutsches Reisebüro

Wasserfälle des Blauen Nil.

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Grafik: DER STANDARD

"Gib! Gib!" rufen die Jungs begeistert, als die Touristen aus dem Bus steigen, um bei der Wuzelpartie nördlich von Gondar zuzuschauen. Dabei geht es beileibe nicht um das Erbetteln von Almosen. "Gib" heißt in der nationalen Landessprache Amharisch schlicht und einfach Tor, und ein solches ist eben gefallen. Schon bei der nächsten Runde dürfen die Besucher mitspielen, so einfach kann interkulturelle Verständigung sein.

In jedem noch so kleinen Dorf im äthiopischen Hochland gibt es einen Wuzler, von den Einheimischen "Giottoni" genannt, ein Vermächtnis der Italiener. Die hätten das Land 1936 gerne unter ihren Einfluss gebracht, konnten sich aber nur fünf Jahre halten. "Sei kein Italiener" heißt heute noch ein beliebter Ausspruch, wenn einer unsympathisch auftritt.

Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass Italien die in der alten Königsstadt Aksum gestohlene Stele, eine Art Nationalheiligtum Äthiopiens, 2005 zurückgebracht hat und sie gemeinsam mit der Unesco renoviert. Von circa 1000 vor bis 1000 nach Christus errichteten die Menschen der hier beheimateten Hochkultur beeindruckende Stelen aus Granit, die Teile von Grabbauten waren - und bis zu 520 Tonnen schwer sind.

Besagte Stele Nr. 2 war 1937 von den italienischen Faschisten in drei Teilen nach Rom verschleppt worden, was derzeit unter einem ultramodernen Gerüst wiedergutgemacht werden soll. Daneben schneiden Männer in aller Seelenruhe mit Sicheln das hüfthohe Gras. Im Oktober, unmittelbar nach der Regenzeit, ist das Land von einem berauschenden Grün, Weizenfelder wogen, Mais, Gerste, alles wächst, dazwischen die gelben Meskel Blumen, die von den Kindern zum Neujahrsfest zu üppigen Sträußen gebunden werden.

Der Jahreswechsel wird hier im September gefeiert, überhaupt gehen die Uhren anders: Das äthiopische Jahr hat 13 Monate, deswegen wurde in Addis Abeba auch erst im Vorjahr das Millennium begangen. Ansonsten fühlt man sich aber ganz up to date und blickt dem neuen Jahrtausend mit großem Optimismus entgegen. Von Hungerhilfe will Mahammed Derir, Kultur- und Tourismusminister der demokratischen Republik, nichts hören. Äthiopien sei ein reiches Land, nicht nur an Kultur-, sondern auch an Naturschätzen. Neben den zahlreichen Weltkulturerbe-Stätten wie Aksum und Lalibela biete das Land im Süden die Möglichkeit für Tiersafaris und sei somit die "ideale Mischung aus Ägypten und Kenia".

Gewiss, die staatlichen Hotels der Ghion Gruppe haben auch schon die Bonzen der kommunistischen Militärdiktatur bewirtet, die das Land von 1974 bis 1991 beherrschte. Aber wer 70ies-Style, Trommeln als Barhocker, geflochtene Bastlampen und Kuhfelle an den Wänden mag, ist hier gut aufgehoben. Zum Beispiel im Tana-Hotel in Bahar Dar, direkt am Ufer des Tana-Sees, der seine orangebraunen Wellen ganz gelassen plätschernd auf schier unglaublichen 3600 Quadratkilometern ausbreitet und unweit dessen der Blaue Nil entspringt. Von der Hotelterrasse aus fährt ein Ausflugsboot direkt zum Inselkloster Ura Kidane Mihret.

Bis zum 4. Jahrhundert war Äthiopien großteils vom Judentum geprägt, danach setzte sich das orthodoxe Christentum durch, das bis heute die vorherrschende Religion ist. Äthiopisch orthodox ist auch das Kloster, dem man sich auf einem holprigen Weg durch eine Kaffeeplantage nähert. Für den europäischen Blick nimmt sich die Rundkirche, die wie die umliegenden Häuser aus Lehm gebaut ist, sehr ungewöhnlich aus.

Sie besteht aus drei Abteilungen: Eine Bambuswand formt den Außenring, der für den durchschnittlichen Kirchgänger vorgesehen ist, darin das mit Teppichen und Bildern geschmückte Heilige. Das dürfen auch die Touristen in Socken betreten und die Bildnisse aus dem 17. Jahrhundert bewundern. Ein Heiliger Georg ist da immer auf einem Schimmel im Dienste der guten Sache unterwegs -, nach ihm wurde übrigens eine in Äthiopien sehr beliebte Biersorte benannt. Er ist genauso wie die Mutter Gottes mit dunkler Hautfarbe abgebildet. Das Allerheiligste im innersten Kreis bleibt auch den neugierigen Europäern verwehrt. Auf dem Weg zurück bieten die Frauen der umliegenden Dörfer kleine Papyrusboote feil, die in Originalgröße nebenan am See dümpeln wie vor tausenden Jahren. Auch im Sortiment ist Silberschmuck, die Ketten bestehen oft aus nichts mehr als einer silbernen Münze auf einem Band, darauf eine Frau mit üppigem Dekolleté.

Der Maria-Theresien-Thaler war im 18. Jahrhundert ein beliebtes Zahlungsmittel im Orient und wurde durch arabische Händler bis in den Sudan, Somalia, Kenia und die Küstengebiete Tansanias verbreitet. In Äthiopien war er aufgrund der Beständigkeit seines Feingehalts so beliebt, dass er im Land selbst nachgeprägt und bis 1945 als offizielles Zahlungsmittel verwendet wurde.

Heute baumelt er vom Hals jeder zweiten Äthiopientouristin, alternativ mit den ebenfalls sehr beliebten Silberkreuzen, die es in der Weltkulturerbe-Stätte Lalibela an jeder Ecke zu erwerben gibt. Die von der Unesco verordneten Schutzdächer tun dem einzigartigen Anblick, den die monolithisch aus dem rötlichen Tuffstein gehauenen Kirchen bieten, leider einigen Abbruch. Viel zu massig wirken die plumpen Stützen einer Konstruktion, die bewahren soll, was seit dem 12. Jahrhundert Wind und Regenzeiten ungeschützt ausgesetzt war.

Dass es in der Regenzeit in Äthiopien tatsächlich sehr nass und ungemütlich werden kann, erzählt die Primatologin Aliza La Roux. Sie lebt seit sechs Monaten in einer Hütte im Simien Mountain Nationalpark auf über 3000 Meter Seehöhe, da kann es auch schon einmal schneien. Die junge Südafrikanerin erforscht im Auftrag der Universität von Michigan die Geladas, eine nur hier vorkommende Affenart. Die Forscherin ist sichtlich erfreut, dass sie an diesem Abend in der Simien Lodge, einer nagelneuen Luxusunterkunft, einen kurzen Vortrag halten kann - sehr viele Gelegenheiten zur Unterhaltung - und für eine warme Dusche - hat sie sonst nicht. Das alles nimmt sie gern in Kauf, weil ihr Forschungsobjekt weltweit einzigartig ist. In Großgruppen von 200 bis zu 700 Mitgliedern grasen die Geladas im hochgelegenen Bergland sieben bis acht Stunden am Tag vor sich hin, weil die Matten nicht eben sehr nahrhaft sind.

Fünf bis sechs Stunden täglich beobachtet Aliza sie dabei und nimmt ihre Laute auf, weil das Grasen den Geladas Zeit für ein intensives Sozialleben lässt. Am nächsten Morgen dürfen die Besucher die Forscherin ins Feld begleiten, zwei Nationalparkranger mit Gewehr sind auch dabei, so ist es vorgeschrieben. Hastige Bewegungen vermeidend geht La Roux voran zwischen den Affen, die von den Gästen kaum Notiz nehmen. "Das hier ist Darryl", sagt sie und zeigt auf einen kleinen Gelada, "und das hier ist Sarah, seine Mutter." An die 120 der Tiere kennt sie mit Namen, mit der mitgebrachten Tonausrüstung nimmt sie ihre Laute auf und ordnet sie zu. "Ein Männchen hat meist vier bis neun Weibchen, je nach Rangordnung. Die männlichen Jugendlichen, die Bachelors, versuchen, sie ihm abspenstig zu machen", erklärt sie. Die Jungen werden rund zwei Jahre lang gesäugt, die ganz Kleinen wie Darryl dürfen auf dem Rücken der Mama reiten. Mit vier Jahren wird er in das Erwachsenenleben entlassen werden und einen eigenen Familienverband erobern.

Warum die Geladas sich ausschließlich von Gras ernähren, kann auch La Roux nicht erklären. Auch mit dem Klettern haben sie es nicht, obwohl hier auf über 3000 Metern stattliche Wacholderstauden und Kosos wachsen, die wie baumgewordene Rosensträucher aussehen. "Um sich vor ihren natürlichen Feinden, den Leoparden und Hyänen, zu verstecken, klettern sie nicht auf Bäume, sondern verbringen die Nacht auf steilen Klippen", erzählt Aliza. Ein paar hundert Meter weiter, am Felsabbruch, versteht jeder, warum Leoparden hier keine Chance haben - und die Simian Mountains schon die Afrikareisende Rosita Forbes 1925 zu dem enthusiastischen Ausruf hinrissen: Die Götter müssen hier Schach gespielt haben! Vulkanisch schwarze Türme, Läufer und Pferde liegen da verstreut, so weit das Auge reicht. Die Affen verstehen die Aufregung nicht und tun, was sie immer tun: grasen. (Tanja Paar/DER STANDARD/Rondo/21.11.2008)