Heißt Hexensitz, atmet den Charme der späten 1980er und ist das neue Beschäftigungsfeld eines Großteils der alten Korso-Mannschaft.

Foto: Gerhard Wasserbauer
Foto: Gerhard Wasserbauer

Die Vorgeschichte darf als bekannt gelten, schließlich hat die Trennung zwischen Reinhard Gerer und dem Korso fast noch mehr Staub aufgewirbelt als die Nachricht seiner empfindlichen Abwertung durch zwei Restaurant-Guides im Vorjahr. Dann wurde es still um den österreichischen Lieblingskoch von Obergourmet Wolfram Siebeck (Die Zeit). Jetzt ließ Gerer verlauten, dass er wohl nicht mehr hauptberuflich in einer Küche stehen, sondern sich mehr auf die Beratung verlegen wolle.

Für sein erstes Projekt vermittelte er prompt einen wesentlichen Teil der einstigen Korso-Belegschaft: Seit Anfang November sind Josef Hohensinn, Gerers langjähriger Sous-Chef, Korso-Sommelier Fritz Retter und Wolfgang Pöll als Restaurantleiter in der Hinterbrühl, nachdem das Restaurant Hexensitz von einem Unternehmer und Gerer-Stammgast übernommen wurde. Das weckt natürlich ziemliche Erwartungen, selbst wenn der Rahmen ein denkbar anderer ist als im Luxushotel neben der Oper.

Das Hexensitz mutet wie ein Sinnbild für ein in die Jahre gekommenes, gutbürgerliches Restaurant im Speckgürtel von Wien an: rosa marmorierte Wände, dunkle Tischtücher, ein dramatisch über drei Ebenen gezogenes Suburban-Chic-Ambiente im Stil der späten 1980er. Fast darf man sich auf einem Filmset für "Dallas" oder "Dynasty" wähnen - bis der aufgeföhnte Akzent der Sue-Ellen-Darstellerin vom Nebentisch darlegt: Es ist doch Südstadt statt Südstaaten, was einen hier erwartet.

Gulasch mit panierter Gurke

Und die Küche? Zwar weist die Geschäftsführung darauf hin, dass ein Umbau bevorstehe und Hohensinn derzeit noch "mit einem 37 Jahre alten Herd zu kämpfen hat, dem die Flammen dauernd ausgehen" - dafür ist die Leistung phasenweise aber schon ganz ordentlich. Sobald es etwas deftiger zugehen darf, erst recht. Blunzenbrot mit Kren etwa, geröstetes Weißbrot mit flaumigem Blunzenbrät obenauf, dazu gescheit sauer eingelegter Kürbis - sehr gut.

Gulasch ist überhaupt Oberklasse, da blitzt für einen Moment tatsächlich der alte Korso-Geist auf, jene besondere Hingabe, die Gerer den Klassikern der Wiener Küche zuteil werden ließ. In der Variante "Hexengulasch" gibt's dazu getrüffelte Polenta (na ja) und panierte Senfgurke (guter Schmäh!) - womit als bewiesen gelten darf, dass es hierorts wirklich nichts gibt, das nicht erschöpfend auf seine Eignung als Friteusen-Bewohner geprüft würde.

Just das Wiener Schnitzel enttäuscht aber: Von der Größe zwar anständig, gerät die Panier mehr krustig als flaumig, das Fleisch trocken und insgesamt nur durchschnittlich. Sautierte Gansleber (Kalbsnieren waren aus) bekommt zwar eine wunderbare Schalotten-Rotwein-Sauce beigestellt, wird aber zu lange (und hart) gebraten. Kalbsstelze im Ganzen mit klassischen Beilagen gibt es nur auf Vorbestellung, dann aber könnte so ein Braten für den ganzen Tisch doch ein Grund sein, die Anreise in die Peripherie zu wagen. (Severin Corti/Der Standard/rondo/21/11/2008)