STANDARD-Ausgabe vom 10. Oktober 1994.

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Es mutet an, als wäre die Zeit stehengeblieben - wenn man nur die Aufmacher liest. Debakel für die große Koalition - Triumph für das rechte Lager, so lautete der Titel des STANDARD nach der Wahl 2008. Debakel für die Koalition - Triumph für Jörg Haider, so lautete er am 10. Oktober 1994. Noch drastischer stellt sich die historische Unbelehrbarkeit und Reformunfähigkeit von Rot und Schwarz in Österreich nur dar, wenn man sie in ihrem Verlauf betrachtet. Von 1994 noch 66 Mandaten (minus 14) sackte die SPÖ bis heute auf 58 Mandate (minus 10) ab, die ÖVP von damals 52 Mandaten (minus 8) nach dem Knittelfelder Zwischenhoch auf jetzt 50 (minus 16). Den damaligen Zuwachs um 9 auf 42 Mandate übertraf die FPÖ diesmal allein: plus 14 auf 35 Mandate, bei ebenfalls plus 14 auf 21 Mandate für das BZÖ. Die extreme Rechte ist inzwischen stärker als die einst stolze ÖVP und fast so stark wie die einst lange Jahre alleinregierende SPÖ. Liberale und Grüne, damals erfolgreich, sind heuer out oder geschwächt - nicht mehr lange, und die beiden notorischen Regierungsparteien haben sich in die Opposition katapultiert. Wenn nicht etwas geschieht.

Aber was soll schon geschehen? Damals wie heute ließ die SPÖ keinen Zweifel an "Weiter wie gehabt", damals wie heute kamen ÖVP-Stimmen aus der Steiermark für Schwarz-Blau gegen die Großkoalitionäre in der Partei. Von den Reformen, die damals gefordert wurden, hat sich bis heute nichts realisiert, was den Abstieg aufhalten konnte. Folgerichtig werden sie heute wieder gefordert. Harsch kritisierte der damalige SPÖ-Vorsitzende Franz Vranitzky, seine Partei sei zu einem Kanzlerwahlverein verkommen, ein Wilhelm Molterer erklärte damals wie heute, er sehe keinen Anlass, "unsere Linie im Prinzipiellen zu ändern".

Nur die Köpfe rollen nach vierzehn Jahre Uneinsichtigkeit schneller - wenn nicht schon Monate vor der Wahl, dann unmittelbar danach. Wenn man Reformkraft nicht beweisen kann, will man sie wenigstens vortäuschen, sei es mit neuen Gesichtern oder mit einem alten Onkel. Ein gewisser Norbert Leser sagte schon damals, der SPÖ seien nur noch Apparatschiks und Karrieristen verblieben, daher reformunfähig. 2008 sagte er dasselbe. Und wenn er nicht gestorben ist oder ein Wunder geschieht, erhält er demnächst eine neue Chance. (Günter Traxler, DER STANDARD; Printausgabe, 18./19.10.2008)