Eine Segelpartie der Extrme:

Foto: Green Dragon Racing

Trocken werden die Crew-Mitglieder oft über Tage nicht, das Essen kommt aus der Tube, und die Temperaturen variieren auf den Etappen zwischen minus zehn und plus 50 Grad.

Foto: Green Dragon Racing

Wie eine Piratenbraut stolziert Filmdiva Salma Hayek den Bootssteg in Boston hinab. Es ist Mitte Mai dieses Jahres und saukalt. Am Ende des Stegs liegt eine 21 Meter lange Yacht, die in wenigen Minuten "Il mostro" heißen wird. Genauer gesagt dann, wenn es der Star geschafft haben wird, das Schiff mit einer Flasche Champagner zu taufen. Ganze fünf Mal muss die Mimin die Bottle gegen die Rennyacht des Teams von Puma schmettern, bis diese endlich tut, was sie tun soll, nämlich zerbrechen. Die Seeleute inmitten der Bostoner High-Society geben einen Raunen von sich, denn jeder von ihnen weiß, dass eine Flasche, die bei der Taufe nicht beim ersten Mal zerbricht, Klabautermänner weckt.

Vor wenigen Tagen dann, auf der anderen Seite der Weltkugel, kräht kein Hahn und schreit keine Möwe mehr nach den Glasscherben, die vor Boston am Meeresgrund schlummern. In Alicante herrscht Hektik, denn die elf Crewmitglieder der "Il mostro" und die Segler von sieben anderen Yachten starten morgen, am 4. Oktober, zum Volvo Ocean Race, einem Rennen über fünf Weltmeere. Ihr Blick ist finsterer als in Boston, es ist, als konzentrierten sie sich längst auf das, was in den nächsten neun Monaten auf 37.000 Seemeilen auf sie zukommen wird.

Spundus vor dem Wal

Es fällt nicht leicht, das Volvo Ocean Race zu beschreiben, wenn man nicht dabei gewesen ist. Lauscht man den Geschichten, die die Segler am Pier beim Bier erzählen, will man auch gar nicht dabei sein. Die Männer berichten von Etappen, auf denen ihnen Eiszapfen um die Ohren fliegen, vom teuflischen Ritt über haushohe Wellen, davon, wie es sich anfühlt, tagelang nicht trocken zu werden. Sie erzählen, wie es ist, jeden Tag Nudeln aus der Tube zu zuzzeln, vom Spundus davor, mit gut 60 km/h einen verlorengegangenen Container oder einen schlafenden Wal zu rammen. Über den Stress, den die Seeleute aushalten müssen, ist nachzulesen, dass er bei manchen den Bartwuchs aussetzen lässt. Andere verlieren bis zu zehn Kilo auf einer der insgesamt zehn Etappen. Der deutsche Topsegler Tim Kröger schrieb über das Rennen: "Beim Runtersurfen von diesen Monsterwellen bohrt sich der Bug oft ins Wellental. Eine Wasserwand von eineinhalb Meter reißt einen fast mit. Danach sitzt man hüfthoch im Eiswasser, bis es wieder abgelaufen ist. Es sind Bedingungen, unter denen man sich manchmal sogar das Denken abgewöhnt. Denn Denken kann auch Bedenken beinhalten. Die aber wären hier fehl am Platz."

Drei Stunden Schlaf sind ein Segen

Die insgesamt acht Boote der sogenannten "Volvo Open 70"-Klasse sind teuflische Rennmaschinen aus Kevlar, Kohlefaser und Kunststoffen, von denen man noch nie gehört hat. Das Boot verfügt über High-Tech-Elektronik und bärenstarke Hydraulikanlagen, es ist flach wie eine Flunder, damit es wie ein Surfbrett über das Meer fetzen kann. Unterhalb des Rumpfes hängen wie Spinnenbeine ein bis zu 40 Grad schwenkbarer Kiel und zwei Schwerter. Wenn das Crew-Mitglied Rick Deppe in den Bauch des Monsters, wie "Il mostro" auf Deutsch heißt, bittet, betritt man eine dunkle Kunststoffhöhle, wo das Wort Komfort Hausverbot hat. Deppe ist der Medienmann an Bord, sein Job ist es, während der Regatta fürs Internet zu filmen, um zu zeigen, dass das, was hier steht, auch stimmt. Wie ein Weberknecht krabbelt der 44-Jährige Brite über einen Haufen zusammengerollter Segel. Die Inventarliste unter Deck ist so umfangreich wie der Speiseplan an Gefriergetrocknetem. Ein Klo ohne Tür, zwei angerostete Gaskartuschen, ein schwenkbarer Navigationstisch mit High-Tech-Geräten.

An den Bordwänden hängen ausklappbare Kunststoffnetze, auf denen die Seeleute ihr Mützchen Schlaf finden. "Wenn sich drei Stunden am Stück ausgehen, ist das ein Segen", erzählt Deppe. Einen Schlafsack teilen sich jeweils abwechselnd zwei Männer, das spart Platz und Gewicht. "Außerdem ist die Tüte dann schon vorgewärmt. In manchen Gegenden misst das Wasser ein Grad, dann hat's hier unten gerade mal fünf Grad", so Deppe. Die Rennmaschine ist null isoliert, und die Geräuschkulisse reicht von einer Art plätscherndem Walgejammer bis hin zu Schrottplatzgetöse, etwa dann, wenn auf Deck der 500 Quadratmeter großes Spinnaker über eine der trommelgroßen Winschen dichtgeholt wird.

Die Frage nach einer Dusche kommentiert der drahtige Kerl mit einem herablassenden Lächeln. Wozu sollte auch geduscht werden, wenn die elf Kollegen nicht einmal Kleidung zum Wechseln mitnehmen dürfen. Noch mehr aus den Innereien des Monsters? Der Abspeckwahn geht so weit, dass manche Segler ihre Zahnbürste auseinanderbrechen, um Gewicht zu sparen. Seit 1973, als das berühmte Rennen zum ersten Mal unter dem Namen "Whitbread Round the World Race" veranstaltet wurde, hat sich bei den Schiffen viel geändert. Was als Idee im Wirtshaus angefangen hat, entwickelte sich für Marken, die jedermann ein Begriff sind, allerdings erst allmählich zum attraktiven Event.

Nicht immer am Fußballplatz

Volvo übernahm 2001 die Rolle des Titelsponsors, heuer ist abgesehen von Ericsson zum ersten Mal eine Weltmarke aus dem Konsumgüterbereich fett mit im Spiel: Puma als Sponsor und Puma als Marke, die "Il mostro" im Rennen hat. Und Puma, weil das Unternehmen eine Seglerbekleidungskollektion auf den Markt wirft. Antonio Bertone, Marketingchef von Puma und wie Oberboss Jochen Zeitz zu den letzten Vorbereitungen der Segler nach Alicante gereist, meint dazu: "Unsere Kunden müssen doch nicht immer auf den Fußballplatz gehen. Wir waren auch in der Formel 1 die erste Sportmarke, und es werden bestimmt einige nachziehen." Authentizität in Sachen Segeln beanspruchen die beiden Dompteure der Raubkatze, indem sie die Performance-Teile der Kollektion von der Crew der "Il mostro" mitentwickeln ließen - und natürlich durch die Teilnahme am Rennen, das Jochen Zeitz als "Rock'n'Roll-Event des Segelsports" bezeichnet. Wie viel es ihn kostet, bei diesem mitzuspielen, damit rückt der Manager nicht heraus, "aber Sie können davon ausgehen, dass es ein zweistelliger Millionenbetrag ist".

Das Salär wird dem "Il mostro"-Skipper Ken Read in diesen Tagen eher egal sein. Bevor er es ausgeben kann, muss er erst im kommenden Juni heil das Ziel St. Petersburg erreichen. In den Tagen kurz vor dem Startschuss kommt es einem vor, als würden Read und seine Segler sich zu einer Reise in eine andere Welt verabschieden, in die ein Teil ihres Geistes bereits aufgebrochen ist.

Schließlich brennt dann doch die Frage nach dräuendem Unglück aufgrund der nicht zu Bruch gehen wollenden Champagnerflasche in den Händen von Patentante Salma Hayek. Ken Read dazu: "Ich erlebte das schon einmal, als meine Frau, statt die Flasche zu zerbrechen, ein Eck aus dem Schiff gehauen hat. Mit diesem Schiff hab ich dann jede Regatta gewonnen." (Michael Hausenblas/Der Standard/rondo/03/10/2008)