Frei- und Naturräume werden zu einem kollektiven Anliegen.

Foto: Biennale Venedig

Für alle, die das Thema Architektur nicht sonderlich interessiert, spielt es natürlich überhaupt keine Rolle, dass dieser Tage in Venedig wieder einmal eine Architekturbiennale eröffnet hat. Doch zu bauen heißt unweigerlich auch mit der Landschaft umzugehen - und zwischen den Häusern kann es grau, bunt oder grün sein. Durch diese riesige Leistungsschau der internationalen Architektenschaft zog sich heuer erstmals ein auffällig dicker grüner Faden. Der Garten, das Grün, die Landschaft, die Natur waren so dermaßen oft Teil oder gar Zentrum der Ausstellungsbeiträge, dass man meinen darf, ein allgemeines Umdenken sei dabei, Raum zu greifen. Das ist ausgesprochen erfreulich und aufrüttelnd zugleich.

Denn was bedeutet es, wenn seit einigen Jahren erstmals in der Geschichte mehr als die Hälfte der Menschheit in Städten lebt? Denkt jemand darüber nach, was das für das kollektive Bewusstsein der Menschen in Sachen Natur und Naturschutz heißt, wenn die Kinder von der freien Wildbahn quasi abgeschnitten aufwachsen und zwar Giraffen und Elefanten im Zoo betrachten, aber nicht mehr wissen, was ein Engerling ist und wie es sich anfühlt, nackig im Schlamm zu wühlen?

Zugang zu seiner Umwelt

Die Stadt produziert unweigerlich andere Menschen als das Land, und wer als Kind nicht gelernt hat, wie man Forellen mit der Hand fängt, wie Meisen nisten oder wie Maiwipferl schmecken, wird natürlich einen völlig anderen Zugang zu seiner Umwelt und in weiterer Folge zum Schutz derselben haben. Wer's nicht glaubt, soll allein eine Nacht im Wald verbringen oder versuchen, ein Feuerchen ohne chemiegetränkte Anzündhilfen zu entfachen.

Ausgerechnet der amerikanische Beitrag zur Biennale nahm sich unter anderem genau dieses Themas an: In manchen US-Schulen beginnen die Lehrer und Lehrerinnen mit den Kindern, Gärten anzulegen. Sie nutzen vorübergehend brachliegendes Gelände zwischen den Wohnblocks und bringen den Schülerinnen und Schülern bei, wie man Paradeiser zieht, Gurken sät, Salatbeete pflegt. Die Kinder wühlen in der Erde, staksen mit Gießkannen durch kleine Plantagen und stopfen nach ein paar Monaten fröhlicher, regelmäßiger Outdoor-Betätigung die Früchte ihrer Arbeit mit offensichtlichem Vergnügen - und mit der Befriedigung, selbst etwas Sensationelles geleistet zu haben - in sich hinein. Man darf davon ausgehen, dass sie fürderhin einen anderen Zugang zu Obst- und Gemüsewaren aller Art haben, weil sie nämlich darüber nachdenken werden, wie und wo all das Zeug entsteht.

Berechtigung, ja Notwendigkeit

Es geht letztlich freilich nicht darum, Städte zu Obst- und Gemüseplantagen umzuformen. Das wäre ein Missverständnis. Es geht vielmehr um das Bewusstmachen, dass im Organismus Stadt auch die Grünräume in mannigfaltiger Ausformung, von gepflegt bis wild, ihre Berechtigung, ja ihre Notwendigkeit haben.

Diese Biennale zeigt auf, dass nicht mehr nur vereinzelte Architektinnen und Städteplaner umzudenken beginnen, sondern dass die Frei- und Naturräume zu einem kollektiven Anliegen werden, das dringend aktiv bearbeitet werden muss. So viel Gemüse, Blumen und Obst wie heuer wuchsen in der Lagunenstadt wahrlich schon lange nicht mehr. Die am Tropf hängenden Apfelbäume in der deutschen Ausstellung, die auf die Kopenhagener UN-Klimakonferenz vorbereitende Schau im dänischen Pavillon - ja, die haben uns allen einiges zu sagen. (Ute Woltron/Der Standard/rondo/19/09/2008)