Kassel - Der Kannibale von Rotenburg ist nach dem Urteil des Kasseler Landgerichts kein Mörder. Der 42-jährige Computertechniker Armin Meiwes wurde am Freitag wegen Totschlags zu achteinhalb Jahren Haft verurteilt. Das Gericht befand ihn für schuldig, vor knapp zwei Jahren den Berliner Bernd Jürgen B. erstochen und später Teile seines Fleisches gegessen zu haben.

Schwere seelische Abartigkeit

Sein Hauptmotiv zur Tötung des 43-jährigen Opfers war nach Auffassung der Richter der aus einer schweren seelischen Abartigkeit herrührende Wunsch, sich das Fleisch eines sympathischen Mannes "einzuverleiben". Die Staatsanwaltschaft beharrte dagegen auf ihrer Einschätzung, dass es sich um einen Mord aus niedrigen Beweggründen gehandelt habe und kündigte Revision beim Bundesgerichtshof an.

Verteidigung: Tötung auf Verlangen

In dem gut acht Wochen dauernden Prozess, in dem die Sechste Große Strafkammer einen weltweit beachteten Präzedenzfall der deutschen Rechtsgeschichte behandelte, folgte das Gericht weder der Forderung von Staatsanwaltschaft noch von Verteidigung. Die Staatsanwaltschaft hatte lebenslange Haft wegen sexuell motivierten Mordes gefordert. Die Verteidigung hatte auf Tötung auf Verlangen plädiert, wonach höchstens fünf Jahre Freiheitsstrafe hätten verhängt werden können.

Therapie

Verteidiger Harald Ermel sagte, seinem Mandanten sei es besonders wichtig, dass er nicht wegen Mordes verurteilt sei. Er betonte, dass Meiwes im Gefängnis eine Therapie machen werde und bei guter Führung in viereinhalb Jahren wieder auf freiem Fuß sein werde. Der Angeklagte selbst nahm den Richterspruch ohne sichtbare Regung zur Kenntnis.

Triebhafter Eigensucht

Das Gericht widersprach der Staatsanwaltschaft, dass es sich um eine Tat auf tiefster ethischer und moralischer Stufe handle. Meiwes sei nicht mit "ungehemmter triebhafter Eigensucht" vorgegangen, sondern Täter und Opfer hätten sich gegenseitig als Werkzeug zum "ultimativen Höhepunkt" benutzt.

Sexueller Masochismus

Der Berliner Diplomingenieur Bernd Jürgen B. habe mit seinem Leben abgeschlossen und sich Armin Meiwes zur Verfügung gestellt. Bei ihm lag dem Urteil zufolge ein gesteigerter sexueller Masochismus vor. Dieser habe ihm den Blick für die Tragweite seines Verlangens, dass jemand ihm das Geschlechtsteil abbeißt, verstellt, sagte der Vorsitzende Richter Volker Mütze. Insofern handle es sich auch nicht um Tötung auf Verlangen, wie von der Verteidigung angenommen. Und Meiwes habe vor der Tat nur im Blick gehabt, wohin er B. haben wollte: "Letztlich im Magen."

Irrationalität

Mütze sagte, bei beiden Männern liege ein irrationales, von der zivilisierten Gesellschaft geächtetes Verhalten vor. Vor dem Hintergrund ihrer psychischen Störungen sei dies aber nachvollziehbar. Ihr freier Wille sei nicht ernsthaft eingeschränkt gewesen, erklärte der Richter.

Die Tötung sei für Meiwes das notwendige Mittel gewesen, sein eigentliches Ziel einer möglichst engen Bindung an einen Mann durch Einverleibung zu erreichen, sagte Richter Mütze. Der Computertechniker, der ebenso wie sein Opfer "zwei Leben" geführt habe, wollte nach Auffassung des Gerichts "Sicherheit und Geborgenheit durch Aufnahme eines anderen Mannes" bekommen. Er habe dem Gutachter zufolge eine fetischistische Neigung zu Männerfleisch. Ein Lustempfinden bei der "Schlachtung" sei als Tatmotiv nicht im Vordergrund gestanden: "Er arbeitete wie ein Handwerker, ein Metzger", erklärte der Richter. Das Gleiche gelte für die sexuelle Befriedigung beim Anschauen der Videoaufnahmen und für das mögliche Machtgefühl, das Meiwes empfand.

Der Fall habe eine "Subkultur" im Internet offen gelegt, die er nicht für möglich gehalten hätte, erklärte der Vorsitzende Richter: "Nicht nur Kinderpornografie, auch dieser Bereich ist ganz immens verbreitet", sagte Mütze. Er lobte den österreichischen Internet-User, der als Einziger die Polizei im Juli 2002 auf die Internet-Texte von Meiwes aufmerksam gemacht und damit die Aufklärung ins Rollen gebracht hatte. (APA)