Den schweren Schlag für die BBC stellen auch mehrere britische Zeitungen ins Zentrum ihrer Kommentare zum Erkenntnis des Lordrichters Hutton im "Fall Kelly".

Zentrale Frage nach Kriegsgründen nicht gestellt

"Der Bericht von Lord Hutton ist seltsam unausgewogen", schreibt der liberale Independent. "Hutton scheint mit der Regierung in jedem Punkt recht nachsichtig umgegangen zu sein. Die Gefahr ist jetzt, dass der Bericht das Selbstverständnis der Rundfunkanstalt BBC in Frage stellt. Die Folgen für den öffentlichen Rundfunk Großbritanniens wären beängstigend.

Auf der anderen Seite wurde überhaupt kein Licht auf die zentrale Frage geworfen, die hinter dem Selbstmord von David Kelly stand: Warum zog Großbritannien in den Irak-Krieg? Dieser unausgewogene Teilbericht kann die Forderungen nach einer unabhängigen Untersuchung darüber nur noch bestärken, warum Großbritannien in einen Krieg zog, der nicht gerechtfertigt werden kann."

Kontroverse um Blair damit nicht beendet

Für die Financial Times wird "der Hutton-Bericht die Kontroverse nicht beenden, die mit dem Selbstmord des angesehenen Waffenexperten David Kelly begann. Die Regierung wird von dem Vorwurf entlastet, sie habe bei der Bedrohung durch die Waffen von Saddam Hussein gelogen.

Die BBC wird für lasche Kontrollmechanismen bestraft. Aber die Regierung Blair kommt zu leicht davon, was ihre Rolle bei der Aufhebung der Anonymität Kellys angeht.

Die Frage, wie zuverlässig das Geheimdienstmaterial über die angeblichen Massenvernichtungswaffen des Irak war, lag außerhalb des Auftrags von Lord Hutton. In den vergangenen Monaten ist aber immer klarer geworden, dass die Einschätzung der Geheimdienste über den Irak weitgehend falsch war. Das Nichtauffinden dieser Waffen ist für Blair ein größeres Problem als für US-Präsident George W. Bush, für den die Waffen von Anfang an nur einer von mehreren Gründen für den Sturz von Saddam Hussein waren."

Rechtfertigungs-Bericht für Blair

Insgesamt sei der Hutton- Bericht "eine Rechtfertigung für den Premierminister und seine Berater", kommentiert der konservative Daily Telegraph. Dagegen schränkt die Times ein, dass "die Beziehungen zwischen der Downing Street und dem Geheimdienstkomitee nicht so sehr von vertraulichen Plaudereien abhängig hätte sein dürfen."

Der liberale Guardian lässt im Leitartikel die Tagesereignisse Revue passieren: "Am Dienstagmorgen feilten Journalisten in ganz London an politischen Nachrufen auf Tony Blair. Doch schon am Nachmittag wurde der Premier so lautstark bejubelt, dass der Parlamentssprecher damit drohen musste, die Sitzung zu unterbrechen. Der loyale Labour-Mann, der sich laut fragte, ob nun die angemessene Ehrung Lord Huttons eine Herzogswürde wäre, meinte dies nur halb im Spaß.

Es gibt eine Art Richter – nun seltener als früher – die für die Prinzipien der freien Presse Lippenbekenntnisse ablegen, ohne für die Umstände, unter denen Journalisten arbeiten, viel Verständnis oder Sympathie zu zeigen."

Chapeau, gentlemen Ganz anders der Befund der linksliberalen französischen Liberation: "Tony Blair Sieger durch K.o., die BBC am Boden – Nach diesem außergewöhnlichen Tag möchte man als erstes sagen: ,Chapeau, ihr englischen Herren!‘ Die Untersuchung des britischen Lordrichters Brian Hutton, die Parlamentsdebatte zwischen Tony Blair und seinen Gegnern, die Entschuldigungen der BBC und der Rücktritt ihres Präsidenten – und das alles live auf BBC – dürften eine Lektion in handelnder Demokratie gewesen sein. Wie gern würde man es sehen, dass sich die Politik in Frankreich davon inspirieren ließe. Die Hoffnung darauf ist allerdings nicht allzu groß." (APA/red/DER STANDARD, Printausgabe, 30.1.2004)