Es war ein Fall von Tausenden ähnlichen in Österreich: Ein Mann nützt ein Kind sexuell aus. Immer wieder. Jahrelang. Das Kind leidet enorm, wird erwachsen und entscheidet sich schließlich, die seelischen Verletzungen mit psychotherapeutischer Unterstützung aufzuarbeiten.

Dreißig Jahre später führte der Fall nun zu einer für österreichische Verhältnisse spektakulären Gerichtsentscheidung: Der Täter kann zwar nicht mehr strafrechtlich zur Verantwortung gezogen werden, weil das Verbrechen verjährt ist, er wurde aber zu einer Zahlung von 65.000 Euro verurteilt. Es ist das höchste Schmerzensgeld, das ein heimisches Gericht je für psychische Verletzungen in einem derartigen Fall zuerkannt hat. Es wird hoffentlich nicht die höchste Summe bleiben.

Geld als Hürde

Geld kann nicht heilen, spielt aber sowohl für die Qualität der Behandlung als auch bei der Durchsetzung von Schutzrechten eine bedeutende Rolle. Im konkreten Fall liefen beispielsweise allein 40.000 Euro an Prozesskosten auf. Wer kann es sich schon leisten, als Privatperson ein derartiges Risiko einzugehen? Auch der jüngste Fall wäre vermutlich an der finanziellen Hürde gescheitert, hätte nicht der Frauenschutzrechtsfonds das Kostenrisiko abgedeckt.

Den wohl wichtigsten und mutigsten Schritt hat aber die als Kind gepeinigte Frau selbst unternommen - mit dem Ausbrechen aus der Opferrolle. Allzu oft werden Gewalttaten als schicksalhafte und gleichsam unvermeidbare Tragödien oder Dramen bezeichnet. Die verharmlosende Umschreibung von Gewalthandlungen führt häufig dazu, dass Auslöser indirekt als Ursache dargestellt werden und die "Schuld" hin zum Opfer verschoben wird. Menschen werden nicht Opfer von Verbrechen, sondern von Verbrechern. (Michael Simoner, DER STANDARD Printausgabe 24/25.1.2004)