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Der Trabant kratzt noch einmal die Kurve: Laut einem EuGH-Urteil war die Entziehung von DDR-Landbesitz nach der Wiedervereinigung Deutschlands rechtswidrig

montage: derStandard.at (foto:Reuters)
Straßburg/Frankfurt/Main - Deutschland hat nach einem Urteil des Europäischen Menschenrechts-Gerichtshofs mit der entschädigungslosen Entziehung von Landbesitz aus DDR-Zeiten nach der Wiedervereinigung gegen die Menschenrechts-Konvention verstoßen.

Der Straßburger Gerichtshof gab in dem am Donnerstag veröffentlichten Urteil mehreren Klägern statt, die auf Grund eines 1992 verabschiedeten Gesetzes Grundstücke ohne Entschädigung abgeben mussten, die ihre Familien nach der Landreform in Ostdeutschland von 1945 erhalten hatten. Die Kläger hatten die Grundstücke geerbt und mussten sie dem Gesetz zufolge ohne Ausgleichszahlungen an die Finanzbehörden des jeweiligen Bundeslandes abtreten. Dieser Zwang verstößt nach dem Urteil gegen die Regelungen zum Eigentumsrecht in der Menschenrechts-Konvention. Der Menschenrechts-Gerichtshof wurde 1959 von den Mitgliedsstaaten des Europarats geschaffen, dem 45 Länder angehören.

Zwangs-Agrarreform

Der Erklärung des Gerichts zufolge sollte das 1992 geschaffene Zweite Vermögensrechtsänderungsgesetz eine Regelung von 1990 korrigieren, die die Zuteilung des Landes von 1945 endgültig machen sollte. Damals hatten zahlreiche Familien in Ostdeutschland Land mit eingeschränkten Verfügungsrechten zur Bewirtschaftung erhalten. Diese Agrarreform beruhte ihrerseits auf Zwangsmaßnahmen, über die derzeit ebenfalls politisch und juristisch gestritten wird.

Das 1990 im Zuge der Einigungsverhandlungen geschaffene Gesetz hob die Einschränkungen der Verfügungsrechte auf und gab den Besitzern volle Verfügungsgewalt. Dem Gericht zufolge war das Ziel die marktwirtschaftliche Öffnung der DDR. Das Gesetz von 1992 verpflichtete dann die Grundstücksbesitzer, die ihr Land in den vergangenen zehn Jahren nicht landwirtschaftlich genutzt hatten, das Land an die Finanzbehörden abzugeben.

Der Gerichtshof betonte nun in seiner Erklärung, dass er nicht das Ziel des Gesetzes von 1992 beanstande, das im öffentlichen Interesse gelegen habe. Die Entziehung ohne Entschädigung wäge aber die Interessen der Öffentlichkeit und der Betroffenen nicht angemessen ab und verstoße so gegen die Menschenrechtskonvention.

Ostdeutsche Bundesländer erwarten Millionen-Forderungen

Nach dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zur Enteignung von Grundstücken in der ehemaligen DDR sehen die ostdeutschen Bundesländer die Bundesregierung in der Pflicht. Sachsen-Anhalts Landwirtschaftsministerin Petra Wernicke geht davon aus, dass auf ihr Land Forderungen in Höhe von 120 Millionen Euro zukommen. "Das kann das Land nicht allein schultern", sagte die CDU-Politikerin am Donnerstag. Das Straßburger Gericht sieht mit der Enteignung die Europäische Konvention für Menschenrechte verletzt.

Wernicke erklärte in Magdeburg, in Sachsen-Anhalt seien von dem Urteil rund 18.200 Erben und etwa 26.000 Hektar Ackerfläche betroffen. Die meisten der Flächen gehören jetzt der Landgesellschaft, deren 100-prozentiger Gesellschafter das Land sei. Wie viele Flächen mittlerweile verkauft worden seien, sei noch unklar.

Nochmalige Überprüfung?

Auch Mecklenburg-Vorpommerns Landwirtschaftsminister Till Backhaus sagte, über die Art und den Umfang möglicher Ausgleichsansprüche müsse in jedem Fall im Rahmen eines Bundesgesetzes entschieden werden. Der SPD-Politiker erklärte, es müsse zudem beraten werden, ob man die Entscheidung des Gerichtshofes nochmals überprüfen lasse. Zu den fünf Beschwerdeführern, über deren Anträge der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte am Donnerstag seine Entscheidungen veröffentlichte, gehören auch zwei Bodenreformerben aus Mecklenburg-Vorpommern.

Die brandenburgische Finanzministerin Dagmar Ziegler zeigte sich überrascht über die Entscheidung. "Die Vorschriften zur Abwicklung der Bodenreform haben in der Vergangenheit mehrfach der Prüfung durch das Bundesverfassungsgericht standgehalten", erklärte die SPD-Politikerin in Potsdam. Der Bund müsse nun prüfen, welche Wirkungen der Gerichtsentscheidung zukomme.

In Thüringen sind rund 2.000 Fälle und eine Fläche von 1.662 Hektar betroffen, wie eine Sprecherin des Landwirtschaftsministeriums in Erfurt sagte. Thüringen sei deshalb nicht so sehr betroffen, weil es ohnehin einen geringeren Anteil an Bodenreformland gehabt und zudem das Gesetz sehr restriktiv umgesetzt habe. Das Land sei nur auf Antrag aktiv geworden, im Unterschied zu anderen Ländern, die von sich aus recherchiert hätten, wer diese so genannten unberechtigten Erben seien, sagte Sprecherin Katrin Trommer-Huckauf.

In Sachsen sagte ein Sprecher des Justizministeriums, vor einer Stellungnahme müsse das Urteil zunächst analysiert werden. (APA/Reuters)