Ein reibungsloser Start des Lkw-Mautsystems im Herbst wird nach Einschätzung von Fachleuten nicht möglich sein. Sie erwarten trotz fieberhafter Suche des Betreiberkonsortiums Toll Collect nach einer verlässlichen Erhebungstechnik weitere Pannen und Verzögerungen. Entgegen dem inzwischen erhofften Maut-Beginn im Herbst gehen die CDU/CSU-Verkehrsexperten frühestens vom 1. Jänner 2005 aus. Auch Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) habe hier wegen der Vertragsfristen nur wenig Druckmittel in der Hand, sagte der verkehrspolitische Sprecher der Unionsfraktion, Dirk Fischer, dem Wirtschaftsmagazin "Focus Money" (München). Zweifel kamen vor allem auch von Güterverkehr-Verbänden und aus der Wissenschaft.

"Ein ganz gravierendes Problem"

So erklärte der Dresdner Navigationsexperte, Prof. Wolfgang Lechner: "Ein ganz gravierendes Problem wird wohl erst nach dem Maut- Start sichtbar. Die Lastwagen werden vom System nicht zuverlässig geortet", sagte er dem Wirtschaftsmagazin "Capital" (Donnerstag). Der Grund seien Reflexionen und Störungen der satellitengesteuerten Übermittlungstechnik durch Gebäude, Gebirge oder nasse Bäume. Diese Probleme sind laut Lechner erst mit dem EU-eigenen Satellitensystem Galileo zu lösen, das frühestens 2009 verfügbar sein soll. Seit der Testphase im Sommer hatten die Lkw-Besitzer erheblichen Ärger mit den am Armaturenbrett installierten Gebührenerfassungs-Geräten (OBUs - On Bord Units), die oft keine oder falsche Daten speicherten.

Hauseigene Software-Probleme werden weiterhin vom Münchner Informatikexperten Franz Xaver Müller erwartet - einem ehemaligen Berater von Toll Collect, der laut "Capital" gute Drähte ins Unternehmen habe. Müller: "Die zwölf Einzelmodule passen nicht zusammen, die ganze Software müsste neu entwickelt werden - das dauert mindestens drei Jahre."

Ungelöste Computerprobleme

Ungelöste Computerprobleme erwartet auch der Hauptgeschäftsführer des Bundesverbandes Güterverkehr und Logistik (BGL), Karlheinz Schmidt. "Die ganze Software bleibt eine einzige Katastrophe", sagte er. Selbst die Hardware müsste neu angepasst werden. Ein Mautstart vor 2005 sei so definitiv nicht möglich, betonte Schmidt, der 14.000 Mitgliedsunternehmen "mit weit mehr als 100.000 Lkw" vertritt. Im übrigen sei mit gerichtlichen Klagen zu rechnen, wenn auf einigen Gebührenstrecken die Maut nicht erhoben, anderswo aber automatisch eingezogen werde.

Einfache Technik

Dazu könnte es kommen, wenn - wie vorab in Medien durchgesickert war - zunächst mit einer einfachen Technik von Oktober an die Maut eingeführt werden soll. Sie könnte automatisch nur die bis dahin erfassten Autobahnstrecken berücksichtigen, während für später gebaute Neubau- oder Ausbaustrecken die Maut zunächst noch manuell erhoben werden müsste. Nach Lösung dieses Problems soll die zweite Stufe zwölf oder 15 Monate später wirksam werden.

Toll Collect soll nach dem Willen der Bundesregierung bis Ende dieses Monats einen endgültigen Termin für den Maut-Start benennen und einer hohen Vertragsstrafe bei Nichteinhaltung zustimmen. Außerdem sollen das Konsortium und seine Partner DaimlerChrysler, Deutsche Telekom und Cofiroute möglichst mit einer eigenen Kreditaufnahme und Zinszahlung finanziell herangezogen werden, um zugesagte Verkehrsleistungen bis zum Mautbeginn abzusichern.

"Konsortium kann nachbessern"

Zu den erwarteten weiteren Maut-Verzögerungen sagte der CDU- Politiker Fischer, der Kanzler könne zwar mit der Kündigung drohen. "Das Konsortium darf dann aber zwei Monate lang nachbessern. Endgültig raus aus dem Vertrag käme man also erst zum 1. April. Wenn Toll Collect aber kurz vor Ablauf der Frist nachweisen kann, dass man auf einem erfolgsträchtigen Weg ist, gibt es zwei weitere Monate Aufschub." Dann könnte ab 1. Juni nach einer Alternative gesucht werden. Ein neues Vergabeverfahren für ein anderes Mautsystem dauere sechs Monate. Eine Wiedereinführung der Lkw-Vignette würde mindestens neun Monate Zeit benötigen. Fischer hält sie für unwahrscheinlich.(APA/dpa)