Foto: Salzburger Landestheater / Christian Schneider
Salzburg - Wiederbegegnungen mit den theatralischen Sprachwogen Thomas Bernhards hinterlassen ein flaues Gefühl. Was vor 20 Jahren wie Gift auf wunde patriotische Seelen wirkte und Feuerstöße auf die Breitseite des Hochkulturverständnisses abgab, hat heute seine Ätzkraft weit gehend verloren. Zwei Jahrzehnte hinterlassen Staub auf dem einstigen Erregungsfaktor Bernhard. Die reale Absurdität hat die dichterische Sezierung der Weltverrücktheit in den Schatten gestellt - und auch die dramatischen Strategien der Bühnenkunst sind nicht harmloser geworden.

Auch der aktuelle Salzburger Versuch einer Wiederbeatmung des Bernhardschen Theatermachers erzeugt ein Gefühl der Öde. Kurt Josef Schildknecht, dem inszenatorischen Masseur der abgestorbenen Bernhard-Auslassungen über die Sinnlosigkeit des Schauspielerdaseins, gelingen nur hübsche Karikaturen aus der Mottenkiste eines liebenden Theaterhassers.

Die Regie lässt die nihilistischen, heute nur noch peinlich inkorrekten Kalauer flockig daherkommen, wie sie eben vom Landestheater-Ensemble nach Lust und Laune abgesondert werden. Niemand ist Wolfgang Kraßnitzer, einem textsicheren, aber mäßig bösartigen Schaustellerchef Bruscon, regulierend in den Räsonierfluss gefallen. Niemand hat die Perlen existenzieller Verzweiflung aus der zähen Gemütlichkeit des Volkstheatertons gerettet.

Die am Blitzschlagbrand des Utzbacher Pfarrhofes letztlich gescheiterte Galavorführung des "Rads der Geschichte" samt endloser Probenbemühungen schmeckt am ehemaligen Schauplatz der Salzburger Uraufführung besonders schal. Keinem der Darsteller gelingt es stumm oder im Dauerredeschwall, die Selbstzerfleischungen und Menschenverstümmelungen neu zu schärfen. Nur Hanne Rohrer, die sprachlos-tuberkulöse Frau Bruscon, hat einige starke Momente des vor Schmerz plärrenden Schweigens.

Was an bemühten, ausstatterisch überaus putzigen Bernhard-Politurgängen wie diesem deprimiert, ist nicht nur die Erinnerung an Darstellerkaliber der Uraufführungsgeneration. Vielmehr schlägt es einen nieder, festzustellen, wie gering die Fallhöhe der ehemaligen Übertreibungskunst zur Normalität geworden ist. Da heute wirklich nichts mehr schockiert, langweilen auch die Demütigungsrituale im Schatten von Adolfs Wirtshaus-Herrgottswinkel. Bernhard ist endgültig Denkmal geworden oder Auslöser für laues Sitcom-Gelächter. (DER STANDARD, Printausgabe, 20.1.2004)