Algier/Madrid – Die Algerier sind klare Verhältnisse gewohnt. Zwar treten bei der Präsidentschaftswahl immer mehrere Kandidaten an, doch gewinnen kann nur einer: der Kandidat, der die Unterstützung des übermächtigen Apparates genießt. Das war bei Abdelaziz Bouteflika, dem jetzigen Staatschef, nicht anders.

Im April stellt er sich zur Wiederwahl. Doch dieses Mal ist alles anders: Bouteflika hat einen ernsthaften Herausforderer – seinen ehemaligen Regierungschef Ali Benflis (2000–2003). Der kommt wie Bouteflika aus der früheren Einheitspartei FLN. Damit gibt es plötzlich zwei "offizielle" Kandidaten, und Algeriens Machtapparat ist gespalten.

Der Anwalt Benflis kann fest auf die Basis der FLN und deren Massenorganisationen bauen. Ob bei Gewerkschaften, Jugend oder Frauen, überall verkauft er sich erfolgreich als Erneuerer. Mit einem sozialdemokratischen Programm verspricht er die marode Staatswirtschaft anzukurbeln, ohne dabei sozialen Kahlschlag zu betreiben. Benflis verhinderte in seiner Zeit als Premier vor allem die Privatisierung der Erdölindustrie, die Bouteflika anstrebt und die über 90 Prozent der Staatseinnahmen ausmacht. Sowohl bei den vergangenen Parlamentswahlen als auch bei den Gemeinde- und Regionalwahlen gewann die FLN unter Benflis.

"Cäsar und Brutus"

Im Mai letzten Jahres kam es zum Bruch. Bouteflika enthob Benflis seines Amtes. Der Kampf um die Macht begann. Den vorläufigen Höhepunkt erreichte die Auseinandersetzung zwischen "Cäsar und Brutus" – wie die algerische Presse die beiden gerne nennt – zum Jahreswechsel. Bouteflika-Anhänger erreichten vor Gericht, dass alle Aktivitäten der FLN ausgesetzt werden. Der Grund für die Klage: Ein Sonderparteitag hatte im Herbst das Sakrileg begangen und Benflis statt Bouteflika zum Kandidaten der stärksten algerischen Partei gewählt.

Doch in Wirklichkeit scheint auch jetzt wieder die übermächtige Armee die Fäden zu ziehen. Die Generäle wollen Bouteflika, den sie einst vor fünf Jahren durch massiven Wahlbetrug an die Macht brachten, loswerden. Die Aussöhnung mit den islamistischen Terroristen führe in den Abgrund, wirft Khaled Nezzar, ehemaliger Verteidigungsminister und General im Ruhestand, Bouteflika vor. Er spricht damit für die meisten Generäle der algerischen Armee. Für sie ist der Staatschef bei der Suche nach einer Lösung für den Konflikt mit den radikalen Islamisten, bei dem mehr als 150.000 Menschen umkamen, zu weit gegangen.

Die Enttäuschung sitzt tief: Während Bouteflika im vergangenen Jahr die beiden Führer der verbotenen Islamischen Heilsfront (FIS), Ali Benhadj und Abassi Madani, freiließ, schwieg er, als Nezzar in Frankreich wegen Menschenrechtsverletzungen angeklagt wurde. Mehr noch: Bei einem Treffen mit dem französischen Staatschef Chirac soll Bouteflika zu verstehen gegeben haben, dass die algerische Demokratie nur funktionieren kann, wenn sich die Armee vollständig aus dem politischen Leben des Landes zurückzieht. Die setzt nun auf Benflis: Dass der unabhängigen Presse im Land nun immer wieder Informationen über das korrupte Umfeld des Staatschefs zugespielt werden, dürfte kein Zufall sein.

Bouteflika angeschlagen

Die wenigen Umfragen beweisen, dass Bouteflika durch die Enthüllungen und durch den Streit innerhalb der FLN schwer angeschlagen ist. Wollten im April 2003 noch 66 Prozent dem Staatschef erneut ihr Vertrauen schenken, so sind es jetzt nur noch 34 Prozent, gefolgt von Benflis mit 19 Prozent. Bouteflika muss sich auf einen zweiten Wahlgang vorbereiten.

Dann werden nicht nur zwei Männer sondern zwei Lager aufeinander stoßen, ist sich die unabhängige Presse Algeriens sicher. Auf der einen Seite "die Demokraten, geeinter denn je, zusammen mit einer FLN, die paradoxerweise dem demokratischen Lager näher steht, als der Macht" und auf der anderen Seite "eine breite islamistische Allianz um den Präsidenten", sagt Le Soir d'Algérie voraus.

Die wichtigste Abendzeitung des Landes scheint damit Recht zu behalten. Bei einem Staatsbesuch im Iran, legte Bouteflika demonstrativ Blumen am Grab des Gründers der Islamischen Republik, Ayatollah Khomeini, nieder und traf sich mit dem religiösen Führer des Landes Ali Khamenei. Und zu Hause redet der Staatschef in den letzten Monaten wieder viel von der "nationalen Aussöhnung". Im Herbst ließ er eine Kommission einsetzten, die sich mit dem Schicksal der rund 20.000 Verschwundenen beschäftigen soll. Das ist zum einen ein Schritt in Richtung islamistisches Umfeld und zum anderen ein Tritt in den Hintern der Generäle, eröffnet die Einberufung der Kommission doch einmal mehr die Debatte um die Rolle der Armee und Gendarmerie in den Jahren des Konfliktes mit den radikalen Islamisten.

Bouteflika ist auf alles vorbereitet. Nach der Entlassung von Benflis setzte er einen alten Bekannten als Regierungschef ein: Ahmed Ouyahia. Die meisten Mitglieder seiner Partei, der National Demokratische Versammlung (RND), besetzen wichtige Ämter in der Verwaltung. Ouyahia, der bereits unter Bouteflikas Vorgänger Zeroual Regierungschef war, weiß dies zu nutzen. Der Technokrat fälschte Ende der 90er erfolgreich mehrere Urnengänge. (DER STANDARD, Printausgabe, 20.1.2004)