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Michael Haneke bei der Pressekonferenz zu "Wolfzeit". Die Uraufführung des Films fand bei den Filmfestspielen in Cannes im Mai 2003 statt.

Foto: REUTERS/Vincent Kessler

Michael Haneke untersucht mit "Wolfzeit" menschliches Verhalten angesichts eines Ausnahmezustands". Kommenden Freitag startet der Film in Österreich. Der Regisseur sprach mit Isabella Reicher über Katastrophenfilme, Stromausfälle und Ambivalenz.

Wien – Eine Kleinfamilie erreicht ihr Wochenendhaus. Eine Auseinandersetzung mit Eindringlingen eskaliert, ein Toter bleibt zurück. Frau und Kinder sind in der Folge alleine unterwegs – aus der Stadt geflüchtet vor einer nicht näher definierten Heimsuchung.

Entscheidende Ereignisse finden in "Wolfzeit", dem aktuellen Film von Michael Haneke, am Anfang und im Off statt. Im Bild, oder vielmehr: in Bildern, deren Qualität auch eine der kunstvollen Verdunkelung ist, sind die Protagonisten – verkörpert von Isabelle Huppert, Patrice Chéreau, Olivier Gourmet und nicht zuletzt den Nachwuchsdarstellern Hakim Taleb und Anaïs Demoustier – damit beschäftigt, mit diesem Ausnahmezustand umzugehen. Einem Ausnahmezustand, der unter anderem Wasser- und Lebensmittelknappheit nach sich zieht und schnell neue Verwalter der verbliebenen Güter und Behausungen auf den Plan ruft.

Mit einem klassischen Katastrophenfilm hat "Wolfzeit", der seine Uraufführung vergangenen Mai bei den Filmfestspielen in Cannes erlebte, also denkbar wenig gemein. Die spektakulären "Heldenerzählungen" dieses Genres hätten ihn, so der Regisseur, ohnehin nicht interessiert:

Haneke: Mir geht es darum, wie wir aus den Überflussländern, in denen die Katastrophen immer im Fernsehen, also woanders stattfinden, auf die Tatsache reagieren, dass der Strom plötzlich nicht mehr aus der Steckdose kommt und das Wasser nicht mehr aus der Leitung. Das hat mich interessiert. Nicht, was das für eine Katastrophe ist – das ist ein anderer Film, und zu diesem Thema gibt es auch schon genügend Filme.

Standard: Worauf haben Sie mit "Wolfzeit" reagiert?

Haneke: Das Drehbuch habe ich schon vor zehn Jahren geschrieben. Aber erst durch den Erfolg der Klavierspielerin und auch, als es durch den 11. September so eine seltsame Aktualität bekommen hat, war es schlussendlich möglich, den Film zu finanzieren.

Standard: Der 11. September war allerdings auch ein Medienereignis. Sie dagegen haben, so scheint es, mit "Wolfzeit" die Gelegenheit genützt, diese Maschinerie buchstäblich auszuschalten . . .

Haneke: Nicht in allen meinen Filmen haben die Medien, das Fernsehen einen solchen Stellenwert. Ich bin nicht abonniert auf Fernsehkritik. Aber wenn der Strom ausfällt, dann geht einfach gar nichts mehr.

Standard: Sie sagen das mit einer gewissen Vergnügen . . .

Haneke: Nein, aber man kann eigentlich nur lachen, wenn man merkt, auf welch dünnem Boden man steht. Wir sind so hundertprozentig sicher, dass alles ewig so weitergeht. Wenn dann etwas passiert wie im Sommer der Stromausfall in den USA – hätte das vier Wochen gedauert, stellen Sie sich vor, was sich da abgespielt hätte. Die vermeintliche Sicherheit, in der wir leben, ist so grotesk.

Standard: Aber auf die Leinwand wollten Sie das Groteske an dieser Situation nicht unbedingt übertragen?

Haneke: Nein, weil das Groteske im Kino auch wieder sehr schnell zur Entrealisierung, zur Konsumierbarkeit führt. Überspitzung beunruhigt weniger, sie führt dazu, dass man sich distanziert. Deswegen bemühe ich mich bei heiklen Themen immer, so glaubwürdig, so emotional nachvollziehbar wie möglich zu sein.

Standard: Die Beunruhigung ist also für Sie unverzichtbar?

Haneke: Ich denke, dass der Film, wenn er eine Kunstform sein will, und darüber kann man ja bekanntlich streiten, die Aufgabe hat, sich der Wirklichkeit zu stellen. Und die Welt, die uns umgibt, ist alles andere als beruhigend. Das muss man ernst nehmen und befragen. Wenn ich ins Kino gehe, will ich ein bisschen anders hinausgehen, als ich hineingegangen bin. Wenn ich nur erfahre, was ich ohnehin schon weiß, dann habe ich meine Zeit vergeudet.

Standard: Komödien können das aber auch leisten.

Haneke: Sicher, aber man soll immer das machen, was man kann. Ich kann das gar nicht, das ist nicht mein Temperament. Ich bin kein sehr lustiger Mensch. Warum soll ich etwas tun, für das ich mich nicht kompetent fühle? Ich habe einen relativ analytischen Blick auf Dinge, und da bewege ich mich. Ich erwarte auch nicht, dass das jeder liebt.

Standard: Formal setzt "Wolfzeit" dem postkatastrophalen Chaos tendenziell übersichtliche, ruhige Einstellungen gegenüber.

Haneke: Das hat mit der objektivierenden Art zu tun, die ich zu etablieren versuche. Wolfzeit ist kein Actionfilm, man spürt eher, dass die Gewalt latent vorhanden ist. Und ich will den Zuschauer beispielsweise nicht mittels einer Dynamisierung durch die Kamera manipulieren, das halte ich für etwas grundsätzlich Unlauteres. Ich will die Geschichte so erzählen, dass sie ohne diese ganzen Manipulationen auch funktioniert. Dann kann ich sie als Zuschauer auch leichter annehmen, als wenn man mir dauernd emotional was aufs Auge drückt. Das mag ich nicht. Deshalb gibt es bei mir auch nie Filmmusik.

Standard: Aber die objektivierende Instanz sind schon immer Sie.

Haneke: Ja, aber ich versuche objektivierend zu sein, indem ich ambivalent bleibe. Ich konstruiere die Geschichte so, dass sie Ambivalenz zulässt, dem Zuschauer verschiedene Lesarten, Interpretationen offen lässt – wie beispielsweise die Szene mit dem kleinen Jungen am Ende von Wolfzeit. Und insofern gibt es von meiner Warte aus keine absolute Objektivität. Darum geht es mir, das hat immer mit der Kommunikation zwischen Werk und Rezipient zu tun.

Standard: Würden Sie zustimmen, dass diese Ambivalenz in Ihrem Werk zunimmt?

Haneke: Ja, das hat, glaube ich, damit zu tun, dass ich meine Mittel besser beherrsche. Es ist ja nicht so leicht, eine Geschichte so zu konstruieren. Das ist viel schwieriger, als eine eindeutige Geschichte zu schreiben. Umgekehrt kann auch extreme Eindeutigkeit ein Angebot an den Zuschauer sein, für sich etwas anderes herauszuholen. Was ich nicht mag, sind diese Trost-Eindeutigkeiten, diese ganze Hollywood-Dramaturgie. Für mich ist beispielsweise Saló von Pasolini immer noch einer der großartigsten Filme der Filmgeschichte, und das ist ein sehr eindeutiger Film. Der ist unerträglich und dadurch provoziert er – das ist auch eine Methode.
Ab 23. 1. im Kino

Zur Person

Michael Haneke, 1942 in München geborener österreichischer Regisseur, präsentierte 1989 mit Der Siebente Kontinent seinen ersten Kinofilm. Seither hat er sechs weitere gedreht und sich international nachhaltig als Filmautor etabliert. Vorläufiger Höhepunkt: Die Klavierspielerin, die Adaption von Elfriede Jelineks Roman, erhielt 2001 beim Festival in Cannes den Großen Preis der Jury, Isabelle Huppert und Benôit Magimel die beiden Darstellerpreise. (irr, (DER STANDARD, Printausgabe vom 17./18.1.2004)