Berlin - Der 26-jährige Student aus Bayreuth hatte den Tod vor Augen. Vergebens hatten Ärzte jahrelang versucht, den bösartigen Weichteilkrebs (Sarkom) unter seinem Schlüsselbein durch Operation, Strahlen- und Chemotherapie zu besiegen. Doch im Sommer 2003 erhielt er die Chance, an der Berliner Charité am ersten klinischen Test einer völlig neuen Therapie teilzunehmen: Mediziner spritzten eine schwarze Flüssigkeit in den Tumor, platzierten den Patienten in ein für Menschen harmloses Magnetfeld. Nach vier Behandlungen verschwand der Krebs. Der Student ist heute tumorfrei.

Was sich da in Berlin an-kündigt, erscheint wie eine Zukunftsvision: eine intelligente Heilmethode, die vermutlich ohne Nebenwirkungen und ohne Schädigung des gesunden Körpers viele Krebs-arten gezielt abtötet. "Nanotechnologie bot uns frappierendes Neuland", sagt der Berliner Strahlenbiologe Andreas Jordan, der die Entwicklung seit 15 Jahren vorantreibt. Die winzigen Strukturen - ein Nanometer entspricht einem Millionstelmillimeter - gelten heute weltweit als bahnbrechende Zukunftstechnologie.

In der neuen Krebstherapie spielt die Nanotechnologie ihre Raffinesse voll aus: Die schwarze Flüssigkeit, die in den Tumor fließt, enthält pro Kubikzentimeter Milliarden Nanopartikel aus Eisenoxid - mit zehn Nanometer Durchmesser rund 6000-mal dünner als ein Haar. Diese verteilen sich gleichmäßig in der Gewebsflüssigkeit zwischen den Krebszellen. Und dann bereiten die Tumorzellen ihren eigenen Abgang vor.

Weil die Nanopartikel eine biochemische Hülle tragen, erkennen die Krebszellen diese als Nährstoff. Zur raschen Vermehrung genetisch auf hohe Nährstoffzufuhr programmiert, absorbieren sie die Partikel - jede Zelle bis zu zehn Millionen. Ist die Krebsgeschwulst bis zum Rand gesättigt (gesunde Zellen nehmen die Nanopartikel kaum auf), schalten die Mediziner ein äußeres Magnetfeld ein.

Nun wirkt die so genannte super-paramagnetische Eigenschaft, die nur Nanopartikel besitzen: Sie lassen sich durch ein hochfrequentes Wechselmagnetfeld in Schwingungen versetzen, dadurch erwärmen sie die Tumorzellen auf mehr als 45 Grad Celsius. Diese sterben ob der Hitze ab und werden danach auf natürliche Weise von körpereigenen Abwehrzellen entsorgt.

Die ersten zwölf an der Charité und im Berliner Bundeswehrkrankenhaus behandelten Patienten zeigen schon heute die universelle Wirksamkeit dieser neuen Therapie. Neben dem Sarkom des 26-Jährigen führte sie auch beim "lokal rezidivierten" - also konventionell austherapierten, jedoch weiter wachsenden - Darmkrebs zum Erfolg, ebenso bei Lebermetastasen, einem rezidivierten Gebärmutterhalskrebs und einem Prostatakarzinom.

Bisher unheilbar

Die Krönung stellte für die Mediziner jedoch der erfolgreiche Angriff auf das tödliche Glioblastom dar, einen bisher als unheilbar geltenden Gehirntumor. Die Größe der bekämpften Tumoren wurde bisher auf fünf Zentimeter im Durchschnitt beschränkt.

Dass eine derartige medizinische Innovation nicht in den USA, sondern an einer Berliner Uniklinik kreiert wurde, liegt an einem Glücksfall der deutschen Forschung: 1990 entdeckte Andreas Jordan in Berlin, dass sich Nanopartikel aus Eisenoxid ferngesteuert hocheffektiv erwärmen ließen. Ebenfalls 1990 startete in Saarbrücken der Chemiker Helmut Schmidt das Institut für Neue Materialien (INM) mit dem Ziel, auf der Basis der Nanotechnologie neuartige Werkstoffe zu erforschen und anzuwenden. Mit 200 Mitarbeitern und über 100 Patenten ist das Leibniz-Institut INM auf diesem Gebiet heute führend.

1996 trafen sich beide Wege. Jordans Team konnte inzwischen menschliche Krebszellen im Reagenzglas wie im Körper wachsen lassen. "Damit hatten wir ein weltweit einmaliges Testsystem, um herauszufinden, welche Nanopartikelhüllen von bestimmten menschlichen Krebszellen aufgenommen werden", erklärt der Strahlenbiologe. Sieben Jahre kooperierte Jordan daraufhin mit dem INM, um die Nanos perfekt für menschliche Tumore maßzuschneidern. Rund zehn Mio. Euro wurden bis heute in die Nanotherapie investiert.

Kommenden Februar wird die erste Phase der klinischen Erprobung zu Ende gehen. In der zweiten Phase sollen deutlich mehr Patienten mit verschiedenen Krebsarten behandelt werden. Die medizinische Zulassung der Nano-Krebstherapie erwartet Jordan Anfang 2006. An klinischen Studien könnten jedoch schon in diesem Jahr auch ausländische Kliniken teilnehmen. Interesse, sagt Jordan, gebe es bereits rund um den Globus. Auch in Österreich. (Franz Frisch/DER STANDARD, Print-Ausgabe, 15. 1. 2004)