Zu den gewiss schätzenswerten Gaben des historisch hochverdienten Theatermachers Hans Gratzer gehört es, um sich herum einen ansteckenden Enthusiasmus zu erzeugen, der die inhaltliche Beliebigkeit seiner hochfahrenden Unternehmungen oft nur sehr notdürftig kaschiert.

Als Wiener Schauspielhaus-Leiter buchstabierte er das Abc der internationalen Bühnenavantgarde beflissen nach. Darüber muss es ihm selber unheimlich geworden sein. Denn als überraschend gekürter Josefstadt-Direktor versprach er, ohne dass ihn jemand dazu gedrängt hätte, schon vor Amtsantritt die alleinige Pflege burschikoser Heiterkeit.

Ausgerechnet das Biedermeier musste es sein. Während die urbanen, kulturtragenden Milieus zusehends unter dem Druck konsumgesellschaftlicher Anpassung leiden und ihre Ausgeh- gewohnheiten ändern, begegnete Gratzer seiner als stockkonservativ verschrienen Klientel in vorauseilender Servilität. Er malte, ohne dass ihn jemand darum gebeten hätte, auf hell strahlende Schauspielerköpfe dunkel glänzende Mohrengesichter. Die ersten Direktionsmonate verursachten ein künstlerisches wie materielles Desaster.

Nun wird Gratzer geschasst - und darf sich von den zuständigen Subventionsgebern nachsagen lassen, er sei ja ohnehin nur eine Verlegenheitslösung gewesen. Es war das Wiener Kulturamt, das, unter Umgehung seiner eigenen Ausschreibungsregeln, Gratzer als Überraschungskandidaten aus dem Hut zog. Für ein Josefstädter Publikum, das für Singspiele in Baströckchen und Seidenstrümpfen irgendwie noch zu jung ist. In einem Haus, dessen Direktionswünsche man vorsätzlich negiert hat. Der Rest ist Schweigen. Das Malheur ist hausgemacht und geht zulasten des Kulturamts der Stadt Wien. (DER STANDARD, Printausgabe, 15.1.2004)