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Aïssa Dermouche wird künftig im Departement Jura Präfekt.

Foto: EPA/ROBIN-AUDENCIA
Gibt es ein bunteres Bild von Frankreich als das von Zidane, Karembeu und allen anderen, die 1998 den Fußballweltmeistertitel holten? Das ist aber nur die eine Seite der Medaille. Obwohl die ethnischen Minderheiten des Landes weit mehr als zehn Prozent der 60 Millionen Einwohner ausmachen, sitzt in der 577-köpfigen Nationalversammlung kein Einziger, der nicht weißer Hautfarbe ist (ausgenommen die 22 Überseevertreter).

Dasselbe gilt für die Fernsehsprecher oder für die Präfekten, die Staatsvertreter in den knapp hundert Departements. Wenigstens bei den Präfekten wird sich die Lage nun ändern. Am Mittwoch wurde bekannt, dass der aus einer algerischen Einwandererfamilie stammende Aïssa Dermouche künftig im Departement Jura Präfekt wird. Der 57-jährige Schuldirektor ist zwar nicht der erste Präfekt aus Nordafrika. Die wenigen früheren Nominationen stammen allerdings aus der Zeit der Entkolonisierung.

Danach hatte es kein Maghrebiner mehr in das Spitzenamt geschafft. Das Problem war bekannt, aber tabu. Erst Innenminister Nicolas Sarkozy brach vor ein paar Wochen das Schweigen: Er kritisierte das französische Modell, das die Förderung von Minderheiten verunmögliche, weil das republikanische Gleichheitsgebot jede Sonderbehandlung ausschließt. Dies habe die paradoxe Folge, dass Einwanderer keine Aufstiegschancen hätten, so Sarkozy, und sprach sich für einen "muslimischen Präfekten" aus.

Das Echo war zuerst gering – und meist negativ, weil an die "positive Diskriminierung" amerikanischer Machart erinnernd. Chirac hatte den Vorschlag zuerst auch abgelehnt und folgt ihm jetzt widerstrebend. Wie immer in Paris spielen tagespolitische Überlegungen hinein. Der Staatspräsident versucht dem populären Sarkozy – seinem härtesten internen Widersacher – den Wind aus den Segeln zu nehmen, um sich die maghrebinische Wählerschaft zu erhalten. Im März finden in Frankreich schließlich Regionalwahlen statt. Viele Muslime sind erbost über Chirac, weil er ein Verbot des islamischen Kopftuches an öffentlichen Schulen befürwortet.

Die Ironie des Schicksals will es, dass eine Vielzahl maghrebinischer Französinnen und Franzosen eine indirekte Art von Diskriminierung am eigenen Leib erfahren – und zwar ausgerechnet in den USA, dem Heimatland der "affirmative action". Die Fluggesellschaft Air France informierte ihr Personal arabischer Herkunft, dass für sie in US- Flughäfen wegen der Terrorgefahr eine "Spezialbehandlung" vorgesehen sei. Diese Piloten und Stewardessen müssten sich einem individuellen Gespräch mit Sicherheitsbeamten beugen. Französische Antirassismusverbände prüfen Rechtsmittel dagegen. (DER STANDARD, Printausgabe, 15.1.2004)