Bundeskanzler Wolfgang Schüssel tut das, worin er seit Schwarz-Blau schon viel Übung hat: er bleibt gelassen.

Vizekanzler Hubert Gorbach tut das, worin die FP bisher wenig erfolgreich war: Er fordert Zugeständnisse von der VP ein.

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ÖVP und FPÖ hatten sich zu einer "Reformkoalition" zusammengeschlossen – aber der Eifer hat nachgelassen, seit sich in immer mehr Sachfragen grundsätzliche, kaum überbrückbare Differenzen zeigen.

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Szenen aus dem Alltag der Koalitionsehe: Kanzler und Vizekanzler kommen zum Pressefoyer nach dem Ministerrat, Wolfgang Schüssel berichtet kurz. Hubert Gorbach hebt zu seiner Wortmeldung an, kommt von einem "Lassen Sie mich noch kurz erwähnen ..." zum nächsten – und zu keinem Ende. Schüssel erträgt die ausufernden Darstellungen "meiner Wenigkeit" (Gorbach über Gorbach) zuerst mit sphinxartigem Lächeln, dann mit Beschäftigungstherapie – er zeichnet ein bisschen.

Solche Routine des gegenseitigen Nervens ist aber eine Kleinigkeit im Vergleich zu den großen ungelösten Problemen, vor denen die Koalition steht. Beispiel Steuerreform: Seit Wochen ringen ÖVP und FPÖ um ein Konzept, heute, Freitag, ziehen sich die koalitionären Verhandlungsteams in Salzburg zur Klausur zurück. Intern umstritten ist vor allem der Zeitpunkt der Steuerentlastung – für die FPÖ soll das noch 2004 sein, für die ÖVP erst 2005.

Beispiel Tierschutz: Hier hat der Kanzler – in Erfüllung eines in der eigenen Partei umstrittenen Wahlversprechens – einen Gesetzesentwurf präsentiert, der für die FPÖ entschieden zu wenig weit geht. Sie vertritt zum Teil Positionen, die denen der rot-grünen Opposition näher sind – und diese hat überhaupt den Eindruck, dass es Schüssel auf ein Scheitern der gesamten Materie anlegt: Wenn es mit der FPÖ keinen Konsens gibt, gibt es eben weiterhin kein bundeseinheitliches Tierschutzgesetz. Schüssel dagegen ist unverzagt: Am Donnerstag kündigte er an, dass das Gesetz binnen Monatsfrist durch den Ministerrat gehen werde.

FPÖ-Generalsekretärin Magda Bleckmann meint dazu trocken: "Da müsste der Herr Bundeskanzler erst einmal mit den Freiheitlichen ernsthafte Verhandlungen führen."

Beispiel Harmonisierung der Pensionssysteme: Das Versprechen, die Systeme bis Ende 2003 anzugleichen, hat die Regierung schon gebrochen. Noch immer tagen Expertengruppen – und manchen in der FPÖ dauert das schon viel zu lange. "Es geht nicht, dass die kleinen Leute mit kleinen Pensionen die hohen Beamtenpensionen finanzieren", wettert Jörg Haider aus Kärnten gegen den Klientelschutz der ÖVP – und versucht, mit einer Unterschriftenaktion zur Harmonisierung in Kärnten Druck auf Wien auszuüben.

Auch aus mehrjähriger Erfahrung mit dem Theaterdonner lässt sich die ÖVP durch die Drohungen der FPÖ nicht aus der Ruhe bringen. "Ich bin seit fast vier Jahren in der Bundesregierung. Warum sollte ich mich vor irgend^etwas fürchten?", kontert der schwarze Koalitionskoordinator und Innenminister Ernst Strasser mehr als gelassen. Inhaltliche Differenzen mit der FPÖ? Ungelöste Probleme? Strasser kann keine Schwierigkeiten erkennen: "Sowohl bei der Steuerreform als auch bei der Harmonisierung gibt es keinen Grund, vom Zeitplan abzugehen. Für beides wird bald eine Lösung vorliegen." Hat doch die ÖVP einen Masterplan für die Legislaturperiode: "Nach dem schwierigen Jahr 2003 wird das Jahr 2004 ein intensives Arbeitsjahr. 2005 wird das Verfassungsjahr, 2006 das Jahr des EU-Vorsitzes." (Eva Linsinger/Conrad Seidl/DER STANDARD, Print-Ausgabe, 9.1.2004)